Werbung

Bundesweite Nazidrohschreiben

Mehr als 100 verschickte E-Mails an Journalisten, Anwälte, Politiker, Verbände und Behörden

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Verpiss dich lieber, solange du hier noch lebend rauskommst, du Schwein! Als Vergeltung schlachten wir deine Tochter.« Dies stand in einem Drohbrief, den die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız im August 2018 erhalten hatte. Unterzeichnet war er mit »NSU 2.0«. Nach einer Strafanzeige stießen die Beamten bei ihren Ermittlungen auf ein mutmaßlich extrem rechtes Netzwerk innerhalb der eigenen Behörde. Daten der Anwältin wurden an einem Computer im 1. Polizeirevier Frankfurt am Main abgefragt. Trotz Ermittlungen und Suspendierungen von Beamten hörten die Drohbriefe jedoch nicht auf. Immer wieder gingen in den vergangenen Monaten Schreiben bei Başay-Yıldız ein - teilweise mit weiteren Behördeninterna.

Nun wurde bekannt: Die Anwältin ist nicht die einzige, die von einem offenbar extrem rechten Netzwerk bedroht wird. Seit mehreren Wochen gibt es nach Medienberichten eine bundesweite Serie mutmaßlich rechter Gewaltdrohungen gegen Politiker und andere öffentlich herausgehobene Personen. Es gehe um mehr als 100 verschickte E-Mails, die mit »Nationalsozialistische Offensive«, »NSU 2.0« oder »Wehrmacht« unterzeichnet worden seien, berichteten am Mittwochabend die »Süddeutsche Zeitung« und der NDR. Darunter seien auch Bombendrohungen. Bei Durchsuchungen seien aber bisher keine Bomben gefunden worden.

Wegen entsprechender Drohungen seien am Montag der Hauptbahnhof Lübeck sowie am Dienstag das Finanzamt Gelsenkirchen vorsorglich geräumt worden, hieß es. Mindestens fünfzehn Mal sollen seit Dezember Bombendrohungen mit dem Absender »Nationalsozialistische Offensive« auch bei Gerichten oder Justizzentren eingegangen sein, unter anderem beim Oberlandesgericht München, dem Oberlandesgericht Bamberg, der Staatsanwaltschaft in Frankfurt, aber auch beim Flughafen Hamburg.

Die Bundesanwaltschaft hat den Berichten zufolge einen Prüfvorgang angelegt. Ein Sprecher der Karlsruher Behörde wollte sich auf Anfrage dazu nicht näher äußern, verwies aber auf die örtlichen Staatsanwaltschaften. Den Berichten zufolge haben sich die Generalstaatsanwälte der Länder geeinigt, die Ermittlungen gebündelt bei der Berliner Staatsanwaltschaft zu führen. Ermittelt wird laut den Medien wegen des Vorwurfs der räuberischen Erpressung, der Volksverhetzung und der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Die Berliner Staatsanwaltschaft geht nach eigenem Bekunden von inzwischen 350 Betroffenen aus.

Die persönlich adressierten Schreiben seien von unterschiedlichen Mailkonten verschickt worden, die Ermittler vermuteten jedoch einen Zusammenhang. »Die Gruppierung versendet seit mehreren Monaten mit unterschiedlichen Absende-E-Mailadressen korrespondierende Droh-E-Mails an Behörden und Institutionen im Bundesgebiet, ohne das ein schädigendes Ereignis eintrat«, erklärte das Polizeipräsidium Koblenz. »Der Inhalt der E-Mails ähnelt sich jeweils im Sprachgebrauch.«

Es gehe gegen Politiker, Anwälte, Journalisten, den Zentralrat der Juden, aber auch die Sängerin Helene Fischer, die sich nach den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz kritisch geäußert hatte. Ob dahinter jedoch stets dieselben Personen steckten oder auch Trittbrettfahrer, sei laut den Medienberichten unklar.

Eine Mail sei am Dienstag auch der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (LINKE) zugegangen, hieß es. Sie sei mit »Nationalsozialistische Offensive« unterzeichnet gewesen und habe angekündigt, künftig Briefbomben zu verschicken und Bürger auf offener Straße zu exekutieren. Man verfüge über Sturmgewehre, Pistolen und biologische Kampfstoffe.

Renner erklärte in einer Mittelung am Donnerstag: »Drohungen der extremen Rechten müssen ernst genommen, Netzwerke untersucht und Betroffene besser informiert werden.« Der Schutz der Attackierten müsse dringend verbessert werden, statt die Gefahr des Rechtsterrorismus zu unterschätzen. »Statt von ›verwirrten Einzeltätern‹ müssen die Behörden von Netzwerken ausgehen«, führte die Abgeordnete aus.

Die Initiative »NSU-Watch« verwies am Donnerstag derweil darauf, dass sich in Darknet-Foren ein Nutzer namens »Wehrmacht« zur Urheberschaft der Nachrichten bekannt hatte. »Die ›National Sozialistische Offensive‹ ist wie der ›NSU 2.0‹ Teil der ›Wehrmacht‹«, habe dieser in einem Forum geschrieben. Ein Zusammenhang zwischen den Droh- und Erpressungsemails und den Bombendrohungen gegen Gerichte liegt für »NSU Watch« nahe. Ein Bezug zu den Drohbriefen an die Rechtsanwältin Başay-Yıldız scheint jedoch nicht zwingend. Der Nutzer »Wehrmacht« habe sich so trotz der eigenen Namenswahl von der mutmaßlichen Frankfurter Gruppe »NSU 2.0« distanziert. Ob es dennoch eine Verbindung gibt, ist bisher nicht geklärt.

»NSU-Watch« kritisierte, dass die Ermittlungsbehörden trotz der eindeutigen politischen Bekenntnisse durch die Namensgebung die Drohbriefe nicht ernst nehmen würden. »Diese Entpolitisierung muss aufhören, stattdessen muss mit Nachdruck gegen diese rechten Terrorstrukturen ermittelt werden«, teilte die Initiative mit. Mit Agenturen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.