Kein Che in Sicht

Linke suchen vor den Präsidentschaftswahlen in Argentinien Inspiration bei einer alten Ikone

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 5 Min.

»Für mich ist Che Guevara eine wichtige Inspiration. In der aktuellen Politik vermisse ich Menschen wie ihn, die charismatisch, linksradikal und geradlinig sind« sagt der 29-jährige Carlos Unamuno. Er studiert Psychologie in Buenos Aires und reist momentan mit seinem Motorrad durch Argentinien, um sein Heimatland besser kennenzulernen. Gerade besucht er die Ausstellung »Der Fotograf Che«, die seit Mitte Januar in der Industriestadt Rosario in einer ehemaligen Lagerhalle am Hafen präsentiert wird.

Jetzt betrachtet Carlos die 232 Fotos, die Ernesto Guevara mit Ende 20 bei Reisen durch Lateinamerika aufgenommen hat. »Ich kannte Che bisher nur als politischen Aktivisten. Dass er viel reiste und mit seinen Fotos versuchte, ein eigenes Bild des Kontinents zu zeigen, war mir nicht bewusst.« Im Gegensatz zur damals üblichen, von westlichen Medien verbreiteten Lesart, die Südamerikas Gesellschaften als rückständig und romantisch darstellten, legte Guevara seinen Fokus auf das Kulturerbe der indigenen Völker. So dokumentieren mehr als ein Dutzend Fotos die von den Mayas erbauten Kukulcán-Pyramiden in Yucatan in Mexiko.

Die von der Stadtverwaltung Rosarios und vom Centro Che de Cuba ausgerichtete Ausstellung ist gut angelaufen. Bis Ende Februar seien schon mehr als 2300 Menschen zu Besuch gekommen, »von jung bis alt«, berichtet Micaela Di Pato, die für die Betreuung zuständig ist. Sie selbst kennt Che seit Kindertagen, da sie aus einer linken Familie kommt, erzählt die 30-Jährige stolz. Den Erfolg der kubanischen Revolution erklärt sie mit dem Zusammenhalt und der Loyalität der damaligen Guerillakämpfer. Diese Eigenschaften vermisse sie aktuell bei den Mitgliedern der stärksten linken Partei des Landes, der Partido Justicialista (PJ), die in den 1940ern von Juan Perón gegründet wurde und deshalb in Deutschland auch als Peronistische Partei bekannt ist.

Di Pato wünscht sich, dass die von 2007 bis 2015 regierende Ex-Präsidentin Cristina Kirchner bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen wieder kandidiert. Bisher hat sich die Abgeordnete der Provinz Buenos Aires nicht geäußert, ob sie für eine erneute Kandidatur bereitsteht. In ihrer Partei wird sie von den sogenannten Kirchneristas unterstützt, die eine Mitte-links-Politik verfolgen und zum Teil auch große Stücke auf ihren verstorbenen Ehemann Néstor Kirchner halten, von dem sie das Amt übernommen hatte. Weil sie seinen Nachnamen trägt, wird sie in Argentinien meist einfach nur Cristina genannt, und jede*r weiß, wer gemeint ist.

»Oh nein, nicht noch mal Cristina«, sagt Andrés Manzano, der ebenfalls für die Ausstellungsbetreuung zuständig und auch Peronist ist. Bisher hat der Mittfünfziger seiner jungen Kollegin aufmerksam zugehört. Seiner Meinung nach wäre der Ökonom Roberto Lavagna der beste Kandidat für die PJ. Dieser hat sich als Wirtschaftsminister unter Néstor Kirchner einen Namen gemacht und vertritt heute den Mitte-rechts-Flügel der Partei.

Laut einer Umfrage der argentinischen Onlinezeitung »Perfil« hätte jedoch Cristina Kirchner mit 31,5 Prozent die besten Chancen, die parteiinternen Vorwahlen im August dieses Jahres zu gewinnen und somit im Oktober den Amtsinhaber des Mitte-rechts-Bündnisses Cambiemos, Mauricio Macri, herauszufordern. Lavagna landete auf Platz drei, mehr als zehn Prozent hinter Cristina Kirchner. Interessant ist, dass die 13 425 Teilnehmer*innen an zweiter Stelle und weit vor ihm die Option »Keiner von allen« wählten.

Doch momentan beschäftigt sich Kirchner wohl mehr mit den Korruptionsvorwürfen gegen sie als mit einer möglichen Präsidentschaftskandidatur. Jede Woche gibt es neue Nachrichten darüber, ob es zu einem Prozess gegen sie kommen könnte, aber bisher gibt es keine stichhaltigen Beweise für die verschiedenen Vorwürfe, die ihr gemacht werden. Fraglos leidet ihre Beliebtheit unter diesen Nachrichten.

Dass die PJ keine*n Kandidat*in findet, die oder der Macri das Wasser reichen kann, ist eine weit verbreitete Sorge unter den Peronist*innen, denn darin sind sie sich immerhin einig: Macri schadet dem Land. Der seit 2015 regierende Präsident habe mit seinem neoliberalen Kurs die Auswüchse der Inflation noch verstärkt. Für diesen Vorwurf gibt es Beweise. Beispielsweise schraubt Macri kontinuierlich staatliche Subventionen auf Wasser-, Gas- und Stromkosten zurück, die insbesondere für einkommensschwache Familien essenziell sind. Auch der öffentliche Nahverkehr ist im ganzen Land exponentiell teuerer geworden, weil Subventionen gestrichen wurden: In Buenos Aires stieg der Preis für ein U-Bahn-Ticket von 7 Pesos Ende 2017 auf jetzt 17 Pesos (also ein Zuwachs von 150 Prozent), während der Mindestlohn in der gleichen Zeit nur um 45 Prozent anstieg. Zudem verliert dieser aufgrund der Inflation immer weiter an Wert. Entsprach er im Januar 2018 noch 463 US-Dollar, waren es im Dezember nur noch 297. Gleichzeitig halten sich die Supermärkte, seit Macri an der Macht ist, nicht mehr an das von Cristina Kirchner eingeführte Programm der »sicheren Preise« für Grundnahrungsmittel wie Butter und Brot, und Sanktionen vom Staat bleiben aus.

Diese Wirtschaftspolitik treibt immer mehr Menschen auf die Straße, in der Hauptstadt gibt es fast täglich kleine Protestaktionen. Allerdings finden sie bisher noch vereinzelt in den Stadtvierteln statt, Vernetzungen und gemeinsame Demonstrationen vor dem Präsidentenpalast gibt es selten. Und wenngleich alle Peronist*innen Macri zum Teufel wünschen, kann dieser auf die Loyalität der großen Unternehmer*innen des Landes bauen.

In der peronistischen Partei gibt es mehr Streit über die Kandidat*innen als über die Inhalte des Parteiprogramms. Das ist ein Problem, das in Lateinamerika Tradition hat. Schon zu Lebzeiten von Guevara sehnten sich viele Menschen nach populistischen Charismatiker*innen, die die Welt retten. Das durch die Medien von Che verbreitete Bild mit der Barett-Mütze stand symbolisch für den Erfolg der kubanischen Revolution. In seinem Tagebuch machte sich Guevara darüber lustig und schrieb: »Diese Büste steht für viel mehr, als ich bin.«

Mit seinen Selbstbildnissen, die jetzt in seinem Geburtsort ausgestellt werden, versuchte Guevara den Mainstreambildern etwas entgegenzusetzen. Mit Erfolg: Auf keinem der vielen Selbstporträts würde man ihn erkennen, wenn man nicht wüsste, dass man es mit dem Revolutionär zu tun hat.

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