- Politik
- Terroranschlag in Christchurch
»Egal wo du herkommst, du bist mein Nachbar.«
Neuseeland denkt über eine Verschärfung seiner Waffengesetze nach / Wie stark ist die rechte Szene im Land?
»Egal wo du herkommst, du bist mein Nachbar.« Menschen in ganz Neuseeland sind am Samstag spontan zu ihren lokalen Moscheen gefahren, um ihre Solidarität mit der muslimischen Gemeinde im Land zum Ausdruck zu bringen. Sie übergaben herzerwärmende Nachrichten, Blumen und Geldgeschenke. Viele Menschen weinten und umarmten sich. Staatschefs aus aller Welt schickten Beileidsbekundungen, darunter auch die britische Königin, die auch Neuseelands Staatsoberhaupt ist.
Hauptverdächtiger dem Haftrichter vorgeführt
Auch am Tag nach der Terrorattacke auf zwei Moscheen in Christchurch, bei der mindestens 49 Menschen ums Leben kamen, stand das Land noch unter Schock. Überall war eine verstärkte Polizeipräsenz sichtbar, vor allem in der Nähe von Moscheen und bei öffentlichen Veranstaltungen. Die Öffentlichkeit wurde aufgefordert, weiter wachsam zu bleiben, obwohl Polizeikommissar Mike Bush sagte, dass die Polizei nicht aktiv nach jemandem suche, der eine Bedrohung darstelle. »Das bedeutet aber nicht, dass es sie nicht gibt.«
Nach und nach werden nun mehr Details des aufwendig geplanten Anschlags bekannt. Der Hauptverdächtige wurde bereits dem Haftrichter vorgeführt. Der 28-jährige Australier wurde wegen Mordes angeklagt, weitere Anklagepunkte werden folgen. Es wurde kein Antrag auf Kaution gestellt, der nächste Gerichtstermin ist für den 5. April anberaumt.
Polizei fasste den Mann innerhalb von 36 Minuten
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern lobte die Arbeit der Polizei, die den Mann 36 Minuten nach dem ersten Notruf bereits festnahm. In seinem Auto fanden die Beamten wohl zwei weitere Schusswaffen, ganz offensichtlich wollte er den Angriff noch fortsetzen.
Derzeit befinden sich noch 39 Patienten im Krankenhaus, mehrere davon auf der Intensivstation. In zwölf Operationssälen wurde die Nacht durchgearbeitet. Ein vierjähriges Mädchen wurde zur Behandlung nach Auckland geflogen. Auch unter den Toten sind Kinder, die mit ihren Eltern zum Freitagsgebet in den Moscheen waren.
Auf keiner Terrorliste geführt
Am Tag nach der Tragödie kamen etliche Fragen auf: Wie konnten australische wie neuseeländische Sicherheitsbehörden den rechtsextremen Täter, der seine Gedanken sowie ein 17-minütiges Video der Tat ins Internet stellte, übersehen? Der 28-Jährige war auf keiner Terrorliste geführt. Mehrfach wurde auch gefragt, ob die rechtsextreme Szene im Land unterschätzt wurde. So hatte bereits Anfang Februar ein Autor des neuseeländischen Mediums The Spinoff geschrieben: »Übersehen wir das Erstarken von Rechtsaußen?«
Darin schilderte der Autor die »verärgerten Männer mittleren Alters, die den Nationalismus in Neuseeland auf dem Vormarsch sehen wollen«. Die Gesamtzahl der Beteiligten sei nach wie vor gering, hieß es damals, doch viele von ihnen hätten sich bereits online in Facebook-Gruppen zusammengeschlossen. Hier würden sie Nachrichtenartikel austauschen und ihre Sorge um eine »bevorstehende muslimische Invasion« zum Ausdruck bringen. Dieses Argument brachte auch der Angreifer in seinem 74-seitigen Manifest, das er begleitend zu dem Attentat im Internet veröffentlichte.
Auf jeden vierten Neuseeländer kommt eine Waffe
Handlungsbedarf sehen die Neuseeländer auch bei ihren Waffengesetzen. Hier hat Premierministerin Jacinda Ardern bereits angekündigt, dass es Änderungen geben wird. »Es gab bereits Versuche die Gesetze zu ändern«, sagte sie. Diese scheiterten 2005, 2012 und 2017 jedoch. Jetzt müsse sich aber etwas tun, betonte die Sozialdemokratin. Medien spekulierten, dass halbautomatische Waffen verboten werden könnten.
Diese konnte der Tatverdächtige wohl mit dem einfachsten Waffenschein der Kategorie A kaufen, für den man in Neuseeland derzeit nur einen Polizeicheck braucht und einen Sicherheitskurs belegen muss. Somit kaufte der Mann die Waffen legal, obwohl er sie für die Attacke teilweise modifiziert haben soll. Zudem gibt es bisher kein nationales Register in Neuseeland, in dem alle Waffenbesitzer geführt werden. Über eine Million Waffen sollen derzeit in Neuseeland im Umlauf sein – bei nur 4,8 Millionen Neuseeländern eine hohe Zahl.
In der Kritik standen auch die sozialen Plattformen wie Facebook, YouTube und Twitter, über die das Video des Angriffs auch Stunden nach der Tat noch zu sehen war. So schrieb ein Internetnutzer: »Welche Verantwortung haben diese Unternehmen?« Auf Reddit hätten Leute das Video in einem Forum names »Watchpeopledie« sogar besprochen.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!