Ein fast alter Sack kehrt zurück
Ein neuer Mario-Conde-Krimi von Leonardo Padura
Ob er durch die Straßen seines Viertels zieht oder den alten Zeiten mit seinen Freunden nachhängt - stets gilt es in Havanna sich an Vergangenes zu erinnern, als es noch glücklichere Momente gab als die der Gegenwart. Der bauliche Verfall vieler einst großbürgerlicher Prachtbauten ist für Leonardo Paduras Helden Mario Conde immer auch ein Spiegel für den Zustand seines Landes. Ja, schwermütig war er schon immer, dieser Polizeileutnant.
»Die Durchlässigkeit der Zeit« hat Padura dann auch seinen neuesten Conde-Roman betitelt, der nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Und der beginnt tatsächlich mit einem völlig unpolitischen Problem, dem Alter! Oder, um es mit Condes Worten auszudrücken: »Bald war er ein alter Sack.«
Und der feiert hier hier ein Comeback, denn El Conde war seit »Der Nebel von gestern«, im Original 2005 erschienen, aus den Geschichten von Leonardo Padura verschwunden. Obwohl die Hauptfigur des Kriminalromanzyklus »Das Havanna-Quartett« ein Teil seiner selbst geworden sei, habe er Abstand von ihm nehmen müssen, erklärte Padura das literarische Abtauchen seines Alter Ego. In Paduras monumentalem Trotzki-Roman »Der Mann, der Hunde liebte« (2011) wird er nur einmal kurz erwähnt, als »Freund und Artgenosse Mario Conde«.
Nun ist er also wieder da, als alternder Mann, der in einen außergewöhnlichen Kriminalfall, hineingezogen wird. Er war wieder einmal auf dem besten Weg, in einen Wehmutsanfall zu versinken (»Das Beschissene, gestand er sich ein, war seine Geistesverfassung, diese ewige Tristesse und Melancholie […] weil er vom Leben unendlich enttäuscht war«), da kam der rettende Anruf, der ihn aus seinen dunklen Gedanken reißt.
Es ist Bobby, ein ehemaliger Schulkamerad, der unbedingt seiner Hilfe bedarf. Denn als er in Miami war, wurde sein unbewohntes Haus fast komplett ausgeräumt. Familienschmuck, Gemälde, Möbel, selbst der Topf, »mit dem ich das Wasser abgekocht habe, um die Bazillen abzutöten« - alles ist verloren. Doch das wichtigste Stück, das ihm gestohlen wurde, ist eine Marienstatue, »eine Jungfrau von Regla«, und genau die soll Mario Conde für ihn finden, und ohne die Polizei einzuschalten! Geld, um ihn zu bezahlen, habe er genug, denn seine Geschäftsbeziehungen zu Miami, sozusagen Hauptstadt der Exilkubaner, vor allem der An- und Verkauf von Kunstgegenständen aus Kuba, hätten ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Man schreibt das Jahr 2014.
Der ewig klamme Conde nimmt das Angebot seines Schulfreundes an, wenn auch nur widerwillig. Für den Leser beginnt nun die spannende Suche nach der schwarzen Jungfrau. Dafür begibt sich Conde in die Welt der skrupellosen Kunsthändler, die zwischen Miami und Europa Geschäfte machen, einerseits. Und er verliert sich, andererseits, in einem der ärmsten Winkel von Havanna, einer Siedlung, die in den 1990er Jahren entstanden war, als die Krise der sogenannten Sonderperiode die Menschen vor allem aus Ostkuba massenweise in die Hauptstadt drängte, in der Hoffnung, »irgendwie der Not zu entkommen«. Padura wäre nicht Padura, wenn er seine fiktive Kriminalgeschichte nicht mit der realen Gegenwart seines Landes in Verbindung bringen würde und so eine starke Sozialkritik formulierte, ohne dabei polemisch zu werden oder sich in einer ideologisierten Debatte zu verlieren.
Und Padura wäre auch nicht Padura, wenn er den Plot nicht mit einem Rückblick in die Historie verbinden würde: bis ins Jahr 1291 geht er zurück! Er erfindet ein fiktives Dorf in Katalonien, um die Geschichte der schwarzen Jungfrau zu erzählen, wie sie auch hätte passiert sein können. In einer wahren Odyssee kommt sie schließlich in Kuba an, wird mitgebracht von jemandem, der sich auf der Flucht vor dem Spanischen Bürgerkrieg als blinder Passagier auf ein Handelsschiff geschlichen hatte - ohne zu wissen, welches Ziel das unter französischer Flagge fahrende Schiff hat.
Gewiss erzählt auch dieser historische Rückblick eine originelle und spannende Geschichte, doch gelingt es dem Autor diese beiden Erzähltränge zusammenzuführen? Größtenteils ja, muss man sagen. Auch wenn es für fleißige Leser von Paduras Romanen Déjà-Vu-Effekte gibt. Eines ist jedoch nicht verhandelbar: Padura hat sich als bedeutender Chronist von La Habana schon lange verdient gemacht.
Leonardo Padura: Die Durchlässigkeit der Zeit. A. d. Span. v. Hans-Joachim Hartstein, Unionsverlag, 448 S., geb., 24 €.
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