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- 1. FC Union
»Die Zeit ist nun gekommen«
Folge 144 der nd-Serie »Ostkurve«: Jubiläum eines Schicksalsjahres, eine kleine Sensation und ganz große Aufstiegslust beim 1. FC Union Berlin.
Ein Lied hört man derzeit in der Alten Försterei immer öfter. Und immer lauter. »Die Bundesliga ist zum Greifen nah«, singen die Fans des 1. FC Union. Eine Zeile später wird der Wunsch konkret: »Die Zeit ist nun gekommen.« Die Sehnsucht ist nicht zu überhören. Und sie ist zu spüren. Erklären lässt sie sich auch. Nüchtern ist die sportliche Deutung. In Zahlen: 9, 7, 6, 4 - abgesehen vom verkorksten vergangenen Jahr ging es für die Berliner in der zweiten Liga immer weiter nach oben. Für eine emotionale Erzählung bietet die Vereinsgeschichte reichlich Stoff. Um das Leiden, das nach erlösendem Jubel verlangt, zu beschreiben, genügt schon der Blick 15 Jahre zurück. Einige, die heute laut vom Aufstieg singen, haben damals ihr Innerstes gegeben, um den Verein zu retten. »Bluten für Union« hieß die Kampagne im Schicksalsjahr 2004.
Damals sammelte der Klub Geld für die Lizenz. Heute setzt er fast 50 Millionen Euro pro Saison um und hat rund 22 000 Mitglieder. Der eigene Wert wird oft auch dadurch deutlich, wer sich so um einen herum schart. Insofern war der 30. Januar schon fast eine kleine Sensation. »Adidas wird Partner des 1. FC Union Berlin«, hieß es in einer Vereinsmitteilung. Die nach eigener Aussage »weltweit führende Fußballmarke« kommt nach Köpenick. Erstaunlich ist es deshalb, weil die Firma aus dem kleinen Herzogenaurach nur noch ganz groß denkt. Liefen früher mal 14 von 18 Bundesligisten mit den drei Streifen auf, ist es heute nur noch der FC Bayern. Auch in Europa setzt Adidas nur noch auf die klangvollsten Namen: Real Madrid, Manchester United, Juventus Turin. Das Interesse am Zweitligisten aus der Hauptstadt wird folgendermaßen begründet: »Der 1. FC Union Berlin genießt in der nationalen und internationalen Fußballszene Kultstatus und hat Fans weit über seine Stadtgrenzen hinaus. Der beliebte Klub ist daher ein idealer Partner.«
Die Zeit für diese neue Beziehung ist aber noch nicht ganz gekommen. Mit dem Start in die neue Saison werden die Köpenicker erst mal nur mit Drei-Streifen-Schuhen kicken. Ab dem Sommer 2020 beginnt dann für Adidas eine feste fünfjährige Bindung. Zur gleichen Zeit endet das Arbeitspapier des Trainers Urs Fischer. Sein Auftrag heißt Aufstieg.
Als »Signal für die Zukunft« beschreibt der Klub den neuen Ausrüstervertrag. Zur »Initialzündung« für die Entwicklung des Vereins, wie jüngst im Stadionheft beschrieben, kam es vor 15 Jahren. Noch bevor die Fans ihr Blut spendeten, wurde am 1. März 2004 der Wirtschaftsrat des 1. FC Union gegründet. Am 27. Mai kam ein neuer Aufsichtsrat, der am 1. Juli einen neuen Präsidenten bestellen sollte - einen aus der Fankurve. Es wurde Dirk Zingler. Entscheidungen orientieren sich noch heute an damals vereinbarten Leitsätzen: »Niemand und nichts darf wichtiger sein als der 1. FC Union Berlin« oder »Zurück zur Natur und Kultur des Fußballs«.
»Wir definieren Fußball auch immer unter einem gesellschaftlichen Aspekt«, beschreibt Zingler die Aufgabe des Vereins. Manchmal steht der 1. FC Union damit fast allein, zumindest anfangs. Wie im Jahr 2012, als der Widerstand gegen das dürftige Konzept »Sicheres Stadionerlebnis« der Deutschen Fußball Liga (DFL) schließlich zu einem sehr viel besseren Ergebnis für alle im Umgang mit Gewalt im Sport führte. Auch jetzt sind die Köpenicker wieder in aller Munde. Eckpunkte ihres Positionspapiers »Kurswechsel für den deutschen Profifußball« werden innerhalb der DFL heiß diskutiert. Wer Mitbestimmung will, muss sich einmischen. Am Anfang, vor 15 Jahren, wurde Bertolt Brecht zitiert: »Um uns selber müssen wir uns selber kümmern.«
Das Wichtigste für Zingler aber sind das Spiel an sich und das Stadionerlebnis, auch im Verhältnis zwischen Tradition und Kommerz. »Zweck eines Fußballvereins ist es nicht, Gewinne zu erzielen, sondern gut Fußball zu spielen. Und wenn man erfolgreich spielt, wird man auch wirtschaftlich erfolgreicher.« Der 1. FC Union erlebt gerade sein zehntes Zweitligajahr, kein anderer Verein ist durchgehend länger in dieser Liga. Nur die vergangene Saison mit dem langen Abstiegskampf wird als sportlicher Rückschritt gewertet. Am Ende wurde es Platz acht, »der Verein ist dennoch gewachsen«, bilanzierte Unions Präsident im Mai 2018.
Im März 2019 sind die Berliner so nah noch wie noch am Aufstieg dran. Zwar hatten sie zum gleichen Zeitpunkt der Saison 2016/17 drei Zähler mehr und waren als Dritter punktgleich mit den Erstplatzierten. Auch jetzt steht der 1. FC Union auf Platz drei, hat aber schon vier Punkte Vorsprung auf den Vierten. Insgesamt ist das Niveau der Liga nicht besser geworden. Der SC Paderborn beispielsweise, Gegner des FCU an diesem Sonnabend in der Alten Försterei, hat als Aufsteiger auf Platz sieben den Klassenerhalt schon gesichert. Und: Abgesehen vom Spitzenreiter 1. FC Köln kann kein direkter Konkurrent die nötige Klasse konstant auf den Rasen bringen. Selbst Union nicht. Zwar ist die Mannschaft mit Abstand die defensivstärkste der Liga, im Spiel nach vorn fehlt ihr jedoch einiges: Ideen, Tempo, Mut. Bezeichnend dafür sind die Spielanalysen von Trainer Urs Fischer, in denen er das Wort »Wettkampfglück« recht oft bemühen muss. Die Zahlen aber geben ihm recht. Und im neuen Lieblingslied der Fans heißt es ja auch: »Ihr werdet’s alle sehen.«
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