Generation 50 plus: Die Schontoten

Leo Fischer über eine Generation, die mit den Folgen ihres Tuns nichts zu tun haben will

Fantasy ist in. Fabelwesen, Mutanten und Untote bevölkern die Bildschirme, und auch im Bereich der politischen Diskussion kommen ständig neue Fantasiegestalten mit Superkräften auf: Da sind die Doppelblinker, die sich von rechts und links gleichermaßen abgrenzen wollen, während ihre Mittelspur wie von selbst stetig nach rechts führt. Da sind die Diskussionsphantome, die ständig »Kontroversen anstoßen« wollen, sich jedoch bei der geringsten Kritik in kleine bunte Logikwölkchen auflösen.

Ein relativ neues Phänomen sind aber die Schontoten: Menschen, die bei bester Gesundheit, in relativem Wohlstand und in der Blüte ihres Lebens stehend, bereits ihr Ableben einkalkulieren und zu einer politischen Position erheben. Gleich, ob es um den Klimawandel oder um die Demografie geht, hört man von gereiften Lehrern, Redakteuren, Künstlern immer häufiger: »Da bin ich hoffentlich schon tot.« Ein mittlerweile gängiges Argument der Generation 50 plus lautet: »Das will ich nicht mehr erleben.«

Man staunt nicht schlecht: Die Generation, der wir die Welt, wie sie gerade ist, letztlich zu verdanken haben, will sich lieber früher als später aus ihr zurückziehen. Die Generation derer, die neoliberale Parteien gewählt, den Sozialstaat abgewrackt und die Umwelt an die Wand gefahren haben, findet das Ergebnis ihrer Entscheidungen plötzlich nicht mehr so dufte - und würde jetzt gerne die Reißlinie ziehen. Natürlich, die individuelle Schuld mag im Einzelfall gering sein, und vor Irrtümern ist auch niemand gefeit. Aber im Großen und Ganzen haben diese Leute die Welt so gekriegt, wie sie sie haben wollten. Jetzt wird ihnen alles ein bisschen zu viel.

Die Statistik mag die Vorfreude der Schontoten etwas dämpfen: Keine Generation vor ihr hat eine derart hohe Lebenserwartung wie die der heute 50-Jährigen, und wahrscheinlich auch keine ihr nachfolgende. Sie wird also noch sehr lange mit der Welt, die sie geschaffen hat, leben müssen – schon rein statistisch. Dass sie sich jetzt, da überhaupt erst die frühesten Ausläufer der Katastrophe sie erreichen, gedanklich aus der Affäre ziehen, in eine zynische Apokalypsenstimmung verfallen, lässt Schlimmes befürchten.

Denn schweigen wollen die Schontoten trotz allen Untergangsgetues nicht! Ihr innerliches Abgestorbensein verschafft ihnen und der Öffentlichkeit gerade nicht sanfte Ruhe, sondern eine ständige Klage gegen diejenigen, die sich geistig noch nicht aufs Ende eingestellt haben. Die »Fridays for Future«-Kritik ist da ja nur der Gipfel. Jegliches Engagement ist ihnen immer gleich suspekt, wird abgebügelt mit Vorwürfen der Naivität und der Kurzsichtigkeit – während ihr Weitblick schon sehnsuchtsvoll Richtung Friedhof schweift.

Sie kaufen Bücher, in deren Titelzeilen die Wörter Kollaps und Katastrophe fett stehen, um sich wohlig zu gruseln in der scheinbaren Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs. Dass er noch vermeidbar, noch abwendbar sein könnte, und sei es theoretisch, ist ihnen die eigentliche Katastrophe; dass von ihnen noch irgendein Verhalten gefordert sein könnte in einer Welt, die so passgenau auf sie zugerichtet und um sie herum geschneidert wurde wie ein Sarg, führt sie in den Kollaps.

Die Punkgeneration der 80er trug »Nach mir die Sintflut« noch als Provokation ans Establishment heran. Konfrontiert mit einem real steigendem Meeresspiegel, fällt dem jetzigen Establishment nicht viel mehr ein, als die Reste der vormaligen Punkattitüde nach unten, gegen die klimabewegte Jugend zu richten, die doch die Frechheit hat, sich mit dem Ende nicht abzufinden. Eine Rebellion der Alten gegen die Jungen, die mit einem untoten Furor geführt wird, wie man ihn auch aus Zombieschockern nicht kennt.

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