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Landgericht verhandelt zu Wittenberger »Judensau«
Mitglied der jüdischen Gemeinde Berlin klagt auf Entfernung von antisemitischer Skulptur / Kirchengemeinde verweist auf historisch-kritische Einordnung
Dessau-Roßlau. Hubertus Benecke nennt sie eine »traurige Berühmtheit«: Jede Stadtführung in Wittenberg halte sich mit am längsten vor der »Judensau« auf, die hoch oben an der Fassade der Stadtkirche prangt, echauffiert sich der Anwalt. Geht es nach seinem Mandanten Michael Düllmann, Mitglied einer Berliner jüdischen Gemeinde, ist das antisemitische Schmährelief indes vor allem eines: eine Beleidigung. Ob das so ist, ergründet ab Donnerstag das Landgericht Dessau-Roßlau. Sollte es Düllmanns Antrag stattgeben, muss die Gemeinde das Relief womöglich entfernen.
Dass die Sandsteinplastik antisemitisch ist, daran besteht kein Zweifel. Denn in diesem Geiste wurde sie um das Jahr 1300 von unbekannter Hand geschaffen. Die Skulptur zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After.
Im Mittelalter waren solche Darstellungen weit verbreitet. Sie sollten unter anderem Juden abschrecken, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Bis heute finden sich ähnliche antijüdische Spottplastiken aus jener Zeit an und in mehreren Dutzend Kirchen in Deutschland, darunter der Erfurter, der Kölner und der Regensburger Dom.
Über der Darstellung in Wittenberg prangt zusätzlich der Schriftzug »Rabini Schem HaMphoras«, ein hebräischer Verweis auf den unaussprechlichen Namen Gottes bei den Juden. Der Ausspruch gelangte erst im 16. Jahrhundert an die Kirchenfassade, wohl inspiriert durch eine antijüdische Schmähschrift des in Wittenberg wirkenden Reformators Martin Luther (1486-1546), der insbesondere in seinem Spätwerk gegen Juden hetzte. Das Zitat brachte dem Relief denn auch den Beinamen »Luthersau« ein - und nicht zuletzt deshalb gewann der Streit um die Plastik gerade im 500. Jubiläumsjahr der Reformation vor zwei Jahren wieder an Fahrt.
Dabei sind die Fronten lange klar, die Argumente ausgetauscht. Die Stadtkirchengemeinde sieht der historisch-kritischen Einordnung mit einer 1988 unterhalb der Skulptur eingelassenen Bodenplatte Genüge getan. »Geschichte soll nicht versteckt werden und Geschichtsvermittlung gelingt am eindrücklichsten am authentischen Ort«, heißt es in einer Stellungnahme. Auch der Wittenberger Stadtrat sprach sich für einen Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal, stieß Mitte 2017 zudem an, daneben eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch aufzustellen.
Kritiker argumentieren indes, der verhöhnende Charakter der Plastik bleibe trotz dieser Einordnungen erhalten. So sehen es auch Düllmann und sein Anwalt Benecke. Eine erste Verhandlung vor dem Amtsgericht Wittenberg im Mai 2018 war jedoch nach wenigen Minuten beendet. Grund war der zu hohe Streitwert von gut 10.000 Euro, sollte die Plastik entfernt werden müssen. So gelangte der Fall ans Landgericht Dessau-Roßlau.
Dort ist das Ziel des Klägers eindeutig: »Wir wollen, dass die Plastik von der Kirchenwand abgenommen und im Museum ordentlich aufbereitet wird«, sagt Benecke. Er selbst sei zwar Christ, halte das persönlich aber ebenfalls für »die sauberste Lösung«. Mit Blick auf die Haltung der Gemeinde habe er indes das Gefühl, »da kommt irgendwie der Punkt nicht an«.
Juristisch ist die Sache verzwickt. Die Klage lautet auf Beleidigung nach Paragraf 185 Strafgesetzbuch in Verbindung mit einem Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach Paragraf 1.004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Ein Gerichtssprecher nennt diese Konstellation »problematisch«, da die Klage auf Beseitigung Vorrang habe. Anwalt Benecke sagt jedoch, das Wichtigste sei die Feststellung durch das Gericht, dass durch das Schmährelief der Tatbestand der Beleidigung erfüllt ist.
Das Landgericht wird seine Entscheidung voraussichtlich zwei bis drei Wochen nach der Verhandlung verkünden. Neben einem Urteil zulasten der Kirchengemeinde kann diese laut dem Sprecher auch darin bestehen, den Prozess mit einer Beweisaufnahme fortzusetzen - oder in einer »gütlichen Einigung«. Die aber schließt Benecke aus: Über »das Wann und Wie« einer Entfernung der Plastik könne man reden, sagt er, »aber nicht über die Frage, ob oder ob nicht«. Im Falle eines negativen Ausgangs sei sein Mandant bereit, bis vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. epd/nd
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