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Superman wird die Krise überstehen

Dass wir über die Zukunft ökonomischer Entwicklung wenig sagen können, ist fester Bestandteil der kapitalistischen Marktwirtschaft.

  • Sabine Nuss
  • Lesedauer: 4 Min.

Tipp, tipp … sssstt … plopp. Und weg. Ich weiß nicht, wie bei Ihnen eine E-Mail auf dem Bildschirm auftaucht, wenn Sie gerade nicht das entsprechende Programm geöffnet haben. Aber wahrscheinlich ungefähr so wie bei allen anderen auch, welche die Benachrichtigung nicht deaktiviert haben: mit einem kleinen Zischgeräusch, einem aufblinkenden Fenster.

Expert*innen für Zeitmanagement raten dazu, diese Funktion abzuschalten. Man solle für jeden Tag bestimmte E-Mail-Zeitfenster einplanen. Weil: Selbst aus dem Augenwinkel erhascht man noch die Betreffzeile. Das lenke ab, sei ineffizient, würde den Arbeitstag fragmentieren, den Stress erhöhen.

Man sollte sich an diesen Rat halten. Gestern zum Beispiel. Da surrte bei mir eine E-Mail-Benachrichtigung ins Bild, im Betreff: »Sind Backtests immer sinnvoll?« Sofort arbeitete das Hirn: Backtests? Just drei Tage vorher war ein neues Rezept ausprobiert worden, ein Brot mit Trockenhefe und der Variante, den Teig über Nacht stehen zu lassen. Und jetzt diese E-Mail. Zufall? Oder hat das Internet beim Surfen (»Brot backen: Wie lange darf man einen Hefeteig liegen lassen?«) gelauscht und das persönliche Datenprofil um »Backinteresse« ergänzt und teuer verkauft? Aber an wen?

Natürlich, jetzt siegt die Neugier – und klick, wird geguckt: Oben in besagter E-Mail, in der rechten Ecke, fliegt eine Comic-Figur direkt ins Bild, es ist Superman, er hat die Faust nach vorne gereckt, wehender blauer Umhang, daneben quer übers Bild zieht sich eine großbuchstabige Schrift: »Der Optionen-Rockstar«. Ah. Werbung.

Aber nicht von einer Bäckerei. Es ist Werbung von einem Finanz-Informationsdienst. Superman, der Optionen-Rockstar und Finanzanalyst, schreibt: »Lieber Leser. Die Schwierigkeit des Börsenhandels liegt darin, dass niemand von uns die Ereignisse in der Zukunft vorhersehen kann.« Das stimmt. Und weiter: »Immer häufiger suchen private Investoren daher nach der Möglichkeit, Backtests auf Aktien, Indizes und andere Börsenwerte durchzuführen.« Ah. Backtests für Börsenwerte. Nicht für Brot.

Okay. Also Superman. Was will er? Der blau bemäntelte Held erklärt, dass Backtests mittels Daten der Vergangenheit mögliche zukünftige Entwicklungen prognostizieren könnten. Anlagekapital soll so sicherer sein. Das, so lernen wir, funktioniere aber nicht. Man solle sich lieber mit langfristigen Strategien zum Investieren auseinandersetzen und zwar: »Strategien, die auf Wahrscheinlichkeiten beruhen.«

Insgeheim ist man froh, sein bisschen Erspartes weder einem Backtest noch einer Wahrscheinlichkeit anvertraut, sondern auf dem guten alten Girokonto liegen zu haben. Zumal Superman im gleichen Schreiben noch eine dringliche Warnung bereithält. Allen Besitzern von sieben ganz bestimmten Aktien, wird geraten, diese sofort zu verkaufen, es seien die »aktuell gefährlichsten Werte der Welt«. Dabei solle man keine Zeit verlieren, weil, und jetzt ziehen Sie sich warm an: Der Absturz der Börse stünde noch nie so kurz bevor, wie derzeit. Erstens. Zweitens: Ein schwerer Inflationsschub werde jetzt immer wahrscheinlicher. Die ganze Welt zittere vor der kommenden Inflation. Verluste von bis zu 80 Prozent drohten da.

Da ist vielleicht was dran. Seit einigen Monaten ist davon die Rede, dass die nächste Krise bald eintritt, nur wann, kann niemand genau vorhersagen. Und ja, vielleicht werden die Besitzer der gefährlichen Aktien ihr Vermögen verlieren und viele andere ihre Arbeit.

Aber Superman wird die Krise überstehen. Dass wir über die Zukunft ökonomischer Entwicklung wenig sagen können, ist fester Bestandteil der kapitalistischen Marktwirtschaft. »We simply do not know«, so hat es John Maynard Keynes einmal formuliert.

Für die Zunft der Finanzmarktberater ist aber genau jene Unsicherheit das Lebenselixier, solange die Anarchie des Marktes waltet, geht diesem Gewerbe die Kundschaft nicht aus. Und, hey, wie wir nach weiterer Recherche von einer der seltenen weiblichen ökonomischen Expertinnen lernen – die hier »Finanzdiva« heißt –, ist die Börse ja auch deshalb so spannend, weil es dort mehr gibt als nur Möglichkeiten, verschiedenen Risiken aus dem Weg zu gehen. So rät die »Diva«, auch mal eine einzelne Aktie zu kaufen, denn: »Sie machen dich zum Boss.« Und weiter: »Du wirst sehen, es fühlt sich wahnsinnig gut an. Du lernst, dass die Börse dich zu einem Alpha-Menschen macht: Unglaublich viele Gefühle begleiten dich auf deiner Renditeorgie.«

Ssssstt … Wieder ploppt eine E-Mail-Benachrichtigung auf. Betreff diesmal: »Marihuana-Meister«. Jetzt würden Sie aber auch nachgucken, oder?

Sabine Nuss ist Verlegerin des Dietz Verlages Berlin und hat über Eigentumsfragen im digitalen Kapitalismus promoviert.

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