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Neurechte verdrängen braune Dumpfbacken
Register Lichtenberg: Neonazi-Szene im Bezirk ist ruhiger geworden - aktiv ist sie aber immer noch
Es ist schwerer geworden für Neonazis. Lange war zum Beispiel der Weitling-Kiez in Lichtenberg einschlägig bekannt für ihre Aktivitäten. Noch im vorigen Jahr hatten die rechten Veranstalter des sogenannten Hess-Marsches ihre »Trauerveranstaltung« für den NS-Kriegsverbrecher Rudolf Hess von Spandau nach Lichtenberg verlegt, weil sich in Spandau starker zivilgesellschaftlicher Protest formiert hatte. Da waren die Neonazis spontan in den Ostbezirk ausgewichen.
Aufnahmen dieses martialischen Aufmarsches sind am Montag bei einer Veranstaltung des Registers Lichtenberg in der Remise Magdalenenstraße zu sehen. Diese Meldestelle zur Erfassung extrem rechter und diskriminierender Vorfälle im Bezirk hatte eingeladen, um seine Statistik für das Jahr 2018 vorzustellen.
»Wir sind gerade in einem abklingenden Intervall«, schätzt Michael Mallé vom Register die Situation ein. Nach dem erneuten Hoch der Neonazis und Rassisten zu Zeiten des starken Flüchtlingszuzugs in den Jahren 2015 und 2016 und der Eröffnung von Unterkünften etwa in Hohenschönhausen, sei es nun zu einer Rückgang gekommen. »Die Heime wurden alle gebaut.« Die gemeldeten Vorfälle nahmen ab, rechte Strukturen seien geschwächt. »Klassische Nazi-Aktivitäten sind unsexy geworden«, so Mallé. Entwarnung gibt es allerdings keineswegs: »Ich würde die Nazi-Szene nicht einfach so abschreiben«, sagt Mallé. Mehrheitsfähig seien die Ideen der Faschisten nicht, aber besonders ihr identitäres Angebot ziehe bestimmte Personen an.
So stellen sich regelmäßig Neonazis aus Lichtenberg im Rahmen der NPD-Kampagne »Schutzzonen« als Bürgerwehr dar und patrouillieren angeblich durch den Bezirk. Die Authentizität der Aktion ist allerdings zu bezweifeln. Gesehen hat die Neonazis, die in roten Warnwesten unterwegs sein sollen, bisher niemand. Die Veranstaltungsbesucher in der Remise vermuten, dass die NPDler nur Fotos machen und diese dann in den sozialen Netzwerken hochladen, aber nicht wirklich auf Streife gehen. »Es ist mehr Provokation als Dominanz in einem Bereich«, stimmt dem auch Mallé zu. Der rechtsextremen Partei rechnet das Register 45 Vorfälle zu.
Der Fokus verschiebt sich bei den neonazistischen Organisationen wie der NPD, der Kleinstpartei »Der III. Weg« oder den mittlerweile aufgelösten »Autonomen Nationalisten« derweil wieder. Sie merken, dass ein Rassismus, der sich gegen Flüchtlinge richtet, von anderen Akteuren meist erfolgreicher vorangetrieben wird. In Abgrenzung zu Neurechten besinnen sie sich auf ihre Wurzeln: »Der Nationalsozialismus wird wieder als Alleinstellungsmerkmal gesehen.«
Gesellschaftlich relevant bleibt daher eher die AfD: Rassistische Reden in der Bezirksverordnetenversammlung, eine Einladung an Björn Höcke oder die Relativierung der Shoah durch ihre Abgeordneten - die AfD in Lichtenberg steht ganz rechts. Und auch die Hipster der »Identitären Bewegung« sind im Bezirk aktiv. Sie führten beispielsweise einen Flashmob auf dem Marktplatz am Tierpark durch, bei dem sie Parolen riefen und ein Transparent entrollten. Die meisten Vorfälle werden laut Register allerdings nicht von Organisationen begangen. »Gerade spontane Angriffe kommen nicht aus organisierten Strukturen«, so der Experte. Ein Großteil der Vorfälle, 51 an der Zahl, werden Einzelpersonen zugerechnet, die nicht zwangsläufig organisiert sind.
Vor allem das Engagement vieler Lichtenberger*innen hat die Situation des Bezirks verändert. Das berichtet auch ein Interessierter aus dem Publikum. Wenn er sich an den Kiez erinnere, wie er vor zehn oder auch 15 Jahren gewesen sei, kämen nur schlechte Erinnerungen hoch. »Es war quasi eine No-go-Area«, sagt er. Seitdem habe sich das Straßenbild deutlich geändert. Heute höre man dort »Spanisch, Englisch, Türkisch, und nicht ›Sieg Heil!‹«.
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