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- Trisomie 21
Einfacher Test, schwierige Fragen
Pränataldiagnostik: Der Bundestag beriet über die Erstattung vorgeburtlicher genetischer Blutuntersuchungen
Genetische Bluttests an Schwangeren, die Auskunft darüber geben, ob das Kind eine Form der Trisomie, etwa das Down-Syndrom, haben wird, sind seit sieben Jahren in Deutschland zugelassen. Noch müssen sie von den Müttern bezahlt werden, die Kosten liegen zwischen 200 und 600 Euro. Schon vor diesen Tests war es möglich, über eine Fruchtwasseruntersuchung oder eine Plazentabiopsie festzustellen, ob diese Art von Behinderung auftreten könnte. Der Nachteil: Diese Untersuchungen bergen ein gewisses Risiko für Fehlgeburten. Seit der Markteinführung des deutlich einfacheren Bluttests hat sich die Zahl der mit einem Eingriff verbundenen Fruchtwasseruntersuchungen bereits mehr als halbiert.
Warum nicht die risikoärmere Untersuchung zum Standard machen, warum sollte sie nicht für alle gesetzlich versicherten Frauen zugänglich gemacht werden? Die Frage hat jetzt der Gemeinsame Bundesausschuss für das Gesundheitswesen (G-BA) an den Bundestag weitergereicht. Es geht auch darum, Beratungsangebote mit der Nutzung des Bluttests zu koppeln.
Was kann der im Bundestag debattierte Trisomie-Bluttest sichtbar machen?
Neben dem Down-Syndrom können die Chromosomendefekte Trisomie 13 und -18 identifiziert werden. Mit ihnen sind schwerwiegendere Behinderungen wie Hirnfehlbildungen oder komplexe Herzfehler verbunden. Betroffene Kinder überleben häufig die Schwangerschaft nicht oder sterben im ersten Lebensjahr. Die mit Trisomie 13 und -18 verbundenen Fehlbildungen können aber auch schon im Ultraschall erkannt werden.
Welche Beeinträchtigungen bringt eine Trisomie 21 (Down-Syndrom) für die Betroffenen mit sich?
Bei bis zu 60 Prozent der Neugeborenen treten Herzfehler auf. Der Ausprägungsgrad der geistigen Behinderung variiert stark. Über die Hälfte der Betroffenen ist schwerhörig. Die Lebenserwartung von Europäern mit Down-Syndrom lag 2004 bei 60 Jahren.
Wie zuverlässig ist der Test?
Zu dem Thema äußerte sich die Lebenshilfe-Bundesvorsitzende Ulla Schmidt, seit 1990 für die SPD im Bundestag. »Die Tests schaffen nicht einmal endgültige Klarheit darüber, ob tatsächlich eine Trisomie 21 vorliegt. Etwa jedes fünfte Ergebnis ist fehlerhaft; die Frauen erwarten gar kein Kind mit Down-Syndrom. Je jünger die Frau ist, umso höher ist die Fehlerquote. Darum müssen zur Bestätigung weitere Untersuchungen folgen, zum Beispiel eine Fruchtwasseruntersuchung.«
Was ist eine Risikoschwangerschaft?
Zu der Einstufung als Risikoschwangerschaft werden mittlerweile über 50 verschiedene Faktoren herangezogen. Besonderen Einfluss auf den hohen Anteil von solchen Schwangerschaften in Deutschland (2013 bereits deutlich über 75 Prozent) dürfte die Tatsache haben, dass auch Geburten ab dem 35. Lebensjahr (für Erstgebärende) und ab dem 40. Lebensjahr (Spätgebärende) hier automatisch eingeordnet werden. Da aber 95 Prozent der in Deutschland geborenen Kinder gesund zur Welt kommen, könnte eine Änderung der Definition sinnvoll sein. uhe
Die Antwort ist nicht so einfach, wie es scheint. Das liegt einerseits an technischen Hürden. So ist zum Beispiel umstritten, wie eine Risikoschwangerschaft zu definieren ist - sie wäre eine Voraussetzung dafür, ob der Test erstattet wird. Unklar ist zudem, wie zuverlässig die Tests sind, welche zusätzlichen Untersuchungen sie nach sich ziehen. Zudem sind grundsätzliche ethische Fragen berührt. Mehrere Bundestagsabgeordnete sprachen diese in ihrer Orientierungsdebatte am Donnerstag an, aber auch in aktuellen Meinungsäußerungen von Behindertenverbänden, Medizinern oder Beratungseinrichtungen kamen sie zum Ausdruck.
Zum Auftakt der Debatte sprach sich die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Schmidtke (CDU), klar dafür aus, dass die neueren Bluttests künftig von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Sie befürwortet das, weil mit der Kostenerstattung eine verpflichtende Beratung der Eltern gekoppelt werden könnte. Auch SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach möchte die Tests in den Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen aufnehmen. Das bessere Verfahren dürfe Frauen, die sich das bisher nicht leisten konnten, nicht vorenthalten werden.
Die mit der neueren Untersuchungsmethode verbundene Risikovermeidung spielte auch für die LINKE-Abgeordnete Cornelia Möhring eine wichtige Rolle. Jedoch führte weder der sozialpolitische Aspekt noch die Fürsprache für das kaum noch riskante Verfahren zu klaren parteipolitischen Fronten in der Debatte. Zwar meldeten sich mehrheitlich Befürworter einer Finanzierung durch die Kassen zu Wort, aber es gab dagegen auch deutliche Bedenken.
So wandte sich nicht nur die behindertenpolitische Sprecherin der Grünen, Corinna Rüffer, gegen die Bluttests als Kassenleistung. »Dieser Test kann nicht dazu dienen zu heilen, weil das Down-Syndrom keine Krankheit ist«, erklärte sie. Der Test diene in der Regel der Selektion. In den meisten Fällen, in denen ein Down-Syndrom des ungeborenen Kindes erkannt werde, entschieden sich die Eltern für Abtreibung. Rüffer, die Mutter einer Tochter mit Trisomie 21 ist, beklagte, dass der Diskurs weitgehend über die Köpfe der Betroffenen hinweg geführt werde. »Wir leben in einer Gesellschaft, die ungeübt ist im Umgang mit einer Behinderung«, erklärte sie. Sie verwies damit auf offensichtliche Mängel in der Praxis der Inklusion von Menschen mit Behinderungen.
Für eine grundsätzliche Debatte über vorgeburtliche Untersuchungen sprach sich die SPD-Abgeordnete Dagmar Schmidt aus, die ebenfalls Mutter eines Jungen mit Down-Syndrom ist. Es müsse für die Eltern auch das »Recht auf Nicht-Wissen« geben. Das bedeute auch, sich nicht ständig mit den Risiken der Schwangerschaft zu befassen, »sondern sich auf sein Kind zu freuen«.
Den Druck, der von einem Test als Kassenleistung ausgeht, problematisierten weitere Abgeordnete. Zuvor hatten sich auch Behindertenverbände und die katholische Kirche dagegen ausgesprochen, das Verfahren zur Kassenleistung zu machen und es so als Regeluntersuchung in der Schwangerschaft zu etablieren. Die Gegner einer Kostenerstattung durch die Kassen warnen, es könne zu einer Ausweitung der Tests und letztlich einer Zunahme von Abtreibungen kommen. Behindertenverbände beobachten bereits, dass es immer weniger Kinder mit Down-Syndrom gibt, und vermuten auch einen Zusammenhang mit der verbesserten Diagnostik. Genaue Zahlen dazu gibt es aber nicht. Jedoch konnte allein einer der Anbieter des Pränataltests, Lifecodexx, seit Markteinführung 2012 etwa 150 000 Tests in Deutschland verkaufen. In den Niederlanden und in Belgien ist diese Untersuchung bereits kostenfrei, und dort lässt sich nach Expertenmeinung tatsächlich der überwiegende Teil der Schwangeren testen.
Auch Kathrin Vogler von der LINKEN sieht den umstrittenen Test eher als Türöffner und Präzedenzfall, und zwar, weil weitere Tests schon verfügbar seien. Diese könnten zwar genetische Normabweichungen erfassen, es sei aber unklar, ob diese das Kind nur wenig oder überhaupt einschränken würden. Vogler betonte: »Es ist nicht der Auftrag der Gesetzlichen Krankenkassen, Diagnosen zu finanzieren, auf die keinerlei ursächliche Therapie folgen kann, weil es diese schlicht nicht gibt.«
Die Abgeordnete schlug eine Novelle des Gendiagnostikgesetzes »mit zukunftssicheren Ergänzungsregelungen« vor und fordert bis dahin ein Moratorium in der Erstattungsfrage. Auch Karl Lauterbach hatte in seiner Stellungnahme prognostiziert, dass es künftig Tests auf fast jede genetische Erkrankung geben werde. Er forderte ein Gremium zur Entscheidung über solche Tests, in denen unter anderen Wissenschaftler und Psychologen vertreten sein müssten.
Bereits Anfang dieser Woche hatte ein breites Bündnis unter anderem von medizinischen Fachgesellschaften, Schwangerschaftsberatungsstellen und aus der Behindertenhilfe dringenden Nachbesserungsbedarf an der G-BA-Beschlussvorlage angemeldet. Diskutiert werden müsse über die Definition der medizinischen Notwendigkeit und einer Risikoschwangerschaft. Zudem sollten die Daten zur Testqualität aktualisiert werden. Das Bündnis mahnte eine Lösung an, die den betroffenen Frauen gerecht wird ohne dabei medizinethische Aspekte zu ignorieren.
Die Parlamentarier fassten am Donnerstag keinen Beschluss. Die Entscheidung zu einer Kostenübernahme durch die Kassen muss letztlich der G-BA treffen. Derzeit läuft dort das Stellungnahmeverfahren. Eine endgültige Entscheidung soll frühestens im Sommer fallen. Ob am Ende der G-BA allein entscheidet oder auch der Bundestag mitredet, ist offen. In der Diskussion im Bundestag lagen noch keine konkreten Gesetzespläne auf dem Tisch. Denkbar ist, dass das Parlament später einen Beschluss fasst, in dem es Kriterien dazu verankert, in welchen Fällen die Kassen die Kosten übernehmen.
Die Orientierungsdebatte wurde letztendlich von der Grünen-Abgeordneten Corinna Rüffer angestoßen. Sie wollte schon seit ihrer Wahl in den Bundestag 2013 eine ethische Debatte über den Umgang mit Menschen mit Behinderungen führen. Auf ihre Anfrage fand sich eine Gruppe von je zwei Abgeordneten aller Fraktionen zusammen (ohne die erst später in den Bundestag eingezogene AfD), die im Oktober 2018 ein gemeinsames Positionspapier einreichten, mit dem eine ethische Debatte zum Thema vorgeburtliche Bluttests im Bundestag gefordert wurde.
Orientierungsdebatten werden meist bei ethisch heiklen Fragen angesetzt. Statt über konkrete Vorlagen zu entscheiden sollen die Abgeordneten fraktionsunabhängig zunächst ihre Position bestimmen.
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