Selbstbestimmung mit Grenzen

Verbot organisierter Sterbehilfe wird vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit dem Dezember 2015 gibt es in Deutschland ein gesetzliches Verbot der »geschäftsmäßigen Sterbehilfe«. Dagegen klagen nicht nur Vertreter eben jener Sterbehilfevereine aus Deutschland und der Schweiz, deren Aktivitäten mit der Neuregelung eingeschränkt werden sollten.

Auch Schwerkranke und Mediziner haben gegen die Regelung beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingelegt, weil sie im Grundgesetz zugesicherte Rechte wie Berufsfreiheit oder das Persönlichkeitsrecht verletzt sehen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelte dazu am Dienstag und Mittwoch öffentlich.

Am Dienstag befragten die Richter zunächst Experten, um eigene offene Fragen zu klären. Nach dem 2015 festgelegten Paragrafen 217 Strafgesetzbuch drohen bei einer »geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung« bis zu drei Jahre Haft. Der Begriff »geschäftsmäßig« meint hier nicht nur kommerzielle Leistungen, sondern auch wiederholte unentgeltliche Unterstützung für verschiedene Betroffene. Angehörige und »Nahestehende« sind von dem Verbot ausgenommen.

Zu den Verteidigern des Paragrafen am ersten Verhandlungstag gehörten zunächst dessen maßgebliche Initiatoren, die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese und der CDU-Politiker Michael Brandt. Sie hatten - mit einer Mehrheit des Bundestages - befürchtet, dass Suizidbeihilfe zur normalen Dienstleistung werde.

Es sollte verhindert werden, dass sich Menschen dadurch unter Druck gesetzt fühlten. Am Dienstag wurden außerdem Experten aus der Psychiatrie befragt. Sie vertraten die Auffassung, dass nur ein kleiner Teil aller Suizide freiverantwortlich stattfindet. Meist seien psychische Erkrankungen mit im Spiel.

Vehement unterstützt wurde die geltende Regelung vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Seiner Meinung nach sei es die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten, das Leben zu erhalten. In den Berufsordnungen der Ärztekammern in Deutschland sei nirgendwo von einer ärztlichen Aufgabe der Beihilfe zum Suizid die Rede.

Die schwer kranken Beschwerdeführer möchten hingegen einen Sterbehilfeverein in Anspruch nehmen. Sie berufen sich vor allem auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und leiten daraus ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Andere Kläger waren während des langen Verfahrens schon gestorben. Die Richter hatten es abgelehnt, das Gesetz auf einen Eilantrag hin bis zum Urteil außer Kraft zu setzen.

Am Mittwoch wandte sich das Bundesverfassungsgericht der rechtlichen Bewertung zu. Die zentrale Frage war, ob sich aus dem Recht eines jeden Menschen auf einen selbstbestimmten Tod ein Anspruch auf Unterstützung ableiten ließe.

Der neue Paragraf schädigt das Vertrauensverhältnis

Zum Auftakt des zweiten Verhandlungstags schilderte einer der klagenden Palliativmediziner die praktischen Probleme mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe. Vertreter dieser fachärztlichen Richtung begleiten todkranke Patienten und unterstützen sie mit symptomlindernden Maßnahmen, etwa mit Schmerzmitteln, wenn es keine therapeutische Hilfe mehr gibt. Der neue Paragraf 217 im Strafgesetzbuch behindere das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, sagte der Schmerztherapeut Dietmar Beck aus Stuttgart. Er kenne einzelne Kollegen, die Mittel zum Sterben zur Verfügung stellten. Die meisten seien aber verunsichert.

Beck erzählte den Richtern von einer hochaltrigen Patientin mit Depressionen, die nach einem gescheiterten Suizidversuch erblindet war. Das Ethikkonzil des Krankenhauses habe ihr schließlich das Sterbefasten ermöglicht, also den freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken. Das habe sich über drei Monate hingezogen, in dieser Zeit habe sie täglich um eine tödliche Spritze gebeten. Er wünsche sich die Freiheit, diese letzte Option zu haben.

Nach der Erfahrung von Psychiatern und Ärzten seien Sterbewille und Lebenswunsch von Schwerstkranken oft ambivalent. Suizidwünsche verschwänden oft, wenn sich Menschen aufgehoben und angenommen fühlten, erklärte Susanne Kränzle vom Hospizverband Baden-Württemberg.

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte zu Beginn der Verhandlung darauf hingewiesen, dass es »nicht um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung« gehe, »sondern allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafdrohung entgegensetzt«. Das Urteil wird voraussichtlich in einigen Monaten verkündet. Mit Agenturen

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