Im Westen nichts Neues

Hertha BSC will seit jeher hoch hinaus, scheitert aber regelmäßig. Sportlich wurde nun Trainer Pal Dardai dafür verantwortlich gemacht. Ein Fehler. Und ein großer Verlust für den Verein.

Hannover? Egal! Sollte das despektierlich klingen, oder etwas schadenfroh, ja, so ist es gemeint. Allerdings nur in dem Sinne, dass der bevorstehende Abstieg der 96er aus der Bundesliga eine persönliche Niederlage für Martin Kind ist. Der präsidiale Patriarch trägt mit seiner Art der Vereinsführung die Verantwortung dafür. Nun kommen die mit 21 Niederlagen in 29 Ligaspielen schwer angeschlagenen Hannoveraner Fußballer mit ihren leidgeprüften Fans am Ostersonntag ins Berliner Olympiastadion. Für die Gäste aus Niedersachsen ist es wohl die letzte Chance, mit einem Sieg die Hoffnung auf den Relegationsrang am Leben zu halten. Für Hertha BSC ist das Spiel binnen weniger Tage bedeutungslos geworden.

Bevor der Berliner Bundesligist am vergangenen Dienstag die Öffentlichkeit von einer einvernehmlichen Trennung zum Saisonende zwischen Klub und Trainer Pal Dardai informiert hatte, galt auch für Hertha BSC der 30. Spieltag als ein recht wichtiger. Nach fünf Niederlagen in Folge sollte ein Erfolgserlebnis gegen den Tabellenletzten die sportliche Wende bringen. Stattdessen entschied sich die Vereinsführung für einen radikalen Umbruch. Wenn die Reaktionen darauf in verschiedenen Fanforen und sozialen Netzwerken sich nur annähernd im Stadion widerspiegeln, dann werden die Besucher statt einer gleichgültigen eine brenzlige Atmosphäre erleben.

Für viele Anhänger von Hertha BSC ist Dardai das Gesicht ihres Vereins: ein lebensfroher und sympathischer Typ, der sein Herz auf der Zunge trägt. Seit 1997 trägt er die blau-weißen Farben, seine drei talentierten Söhne eifern ihm auffällig gut nach. »In meiner ganzen Familie sind nur Hertha-Fans«, wiederholte er am Donnerstag. Und das, an dieser Stelle, Wichtigste: Pal Dardai ist nicht nur Herthas Bundesliga-Rekordspieler, sondern auch der erfolgreichste Trainer des letzten Jahrzehnts.

Selbst über die Stadtgrenzen hinaus gilt der Ungar als Identifikationsfigur eines Fußballklubs, von dem ob stets neuer und teilweise befremdlicher Saisonkampagnen selbst die eigenen Anhänger nicht wissen, wofür er eigentlich stehen will. Der Streit um die langjährige Stadionhymne zu Saisonbeginn ist nur ein Beispiel von vielen, wie der Verein seine treueste Kundschaft auf die Barrikaden treibt, um eine neue Klientel anzulocken. Geschafft hat Hertha BSC das bislang nicht. Selbst die meisten Neuberliner lassen sich anscheinend nicht von einem Verein auf Imagesuche und den damit wechselnden Werbestrategien einfangen. Auch deshalb ist »DER Hauptstadtclub« (selbst ernannt) außerhalb von Berlin und Brandenburg, um es despektierlich zu sagen, den meisten Menschen egal.

Als Michael Preetz am Donnerstag das Anforderungsprofil für einen neuen Trainer umriss, sprach er eigentlich über den noch aktuellen. »Wir suchen jemanden, der die DNA des Vereins versteht«, erklärte der Manager. Das wird schwierig genug. Angst könnten den Anhängern die nachfolgend von Preetz gesprochenen Worte machen: »Wir suchen einen Trainer, der versteht, wofür wir stehen.« Das wird unmöglich, wenn die Vereinsführung zusammen mit Marketingexperten selbst noch immer danach sucht. Bedrohlich wird es für die Anhänger, wenn der Verein bei der Frage, wohin er will, noch öfter vergisst, woher er kommt.

Wohin will Hertha BSC? Sportlich höher hinaus als mit Pal Dardai. Der Trainer saß am Donnerstag neben dem Manager, das sollte wohl auch die Einvernehmlichkeit der getroffenen Entscheidung unterstreichen. Der Trainer saß also neben dem Mann, der in seiner Amtszeit zwei Erstligaabstiege zu verantworten hat. Und der Manager saß neben dem Mann, der Hertha BSC 2015 vor dem dritten Abstieg bewahrt hat; der den Klub in der Bundesliga stabilisiert und dabei zweimal auf einen europäischen Startplatz geführt hat; der - wie an kaum einem anderen Erstligastandort - etliche eigene Nachwuchsspieler zu Stammspielern bei den Profis gemacht hat; der mal wieder Berliner Fußballer zu deutschen Nationalspielern geformt hat. All das hat Dardai geschafft - und dem Verein dabei noch eine finanziell positive Transferbilanz beschert.

»Hertha BSC ist mein Leben.« Keinem glaubt man das mehr als Pal Dardai. Er werde nie ein schlechtes Wort über den Verein verlieren. Und beleidigt oder wütend sei er jetzt auch nicht. Vor allem wie Dardai solche Sätze sagt, lässt das keinen Zweifel zu. Zwischen seinen Zeilen schimmerte am Donnerstag aber doch einiges durch. Vielleicht so etwas wie Enttäuschung über mangelnde Unterstützung oder zu geringe Wertschätzung seiner Arbeit: »Was wäre, wenn Hertha jedes Jahr 100 Millionen Euro in die Mannschaft gesteckt hätte?« Seine Frage ließ Dardai unbeantwortet. Gestellt hat er sie aber bestimmt ganz bewusst in einer Dimension, die vollkommen realitätsfern ist. Hertha BSC ist verschuldet, hat einen Investor mit einem Verlust in zweistelliger Millionenhöhe aus dem Vertrag gekauft, um einen neuen, spendableren, besseren zu finden. Die Argumentation: Weil der Verein jetzt viel attraktiver sei, sei das realistisch. In dieser Sache gibt es im Westen Berlins jedenfalls nichts Neues. Gleiches gilt für den Stadionneubau, für den der Klub schon großspurig das Eröffnungsdatum verkündet hat - ohne überhaupt einen Standort zu haben. Vergleiche mit dem BER verbieten sich an dieser Stelle. Denn bei Hertha BSC herrscht Konstanz auf der Führungsebene. Präsident Werner Gegenbauer, der seine Wiederwahl auf einer Mitgliederversammlung schon mal an den Verbleib des Managers geknüpft hat, ist seit 2008 im Amt. Ein Jahr später kam Preetz. Dass Pal Dardai den beiden im Verein zu groß geworden sei, ist nur ein Gerücht. Nachzulesen auf »Spiegel Online«.

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