Selenskyjs Performance

In der Ukraine sieht alles nach einem Machtwechsel aus.

  • Denis Trubetskoy
  • Lesedauer: 4 Min.

Vieles spricht dafür, dass der nächste Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj heißt. Der Komiker, Schauspieler und Fernsehproduzent, der das Staatsoberhaupt bereits in der beliebten Comedy-Serie »Diener des Volkes« spielt, führt vor der Stichwahl um das Präsidentenamt am 21. April in Umfragen mit großem Vorsprung. So kann Selenskyj laut dem Kiewer Internationalen Soziologie-Institut (KMIS) mit 48,4 Prozent der Stimmen rechnen, Petro Poroschenko lediglich mit 17 Prozent. Die jüngste Umfrage der Rating Group aus der vergangenen Woche zeigt ein ähnliches Bild: 51,8 Prozent würden derzeit für Selenskyj stimmen, nur 19 Prozent für den amtierenden Präsidenten.

Heißt das, dass ein Sieg für Poroschenko, 2014 noch souverän im ersten Wahlgang ins Amt gewählt, nun aussichtslos ist? Sein Wahlstab versucht, einen anderen Eindruck zu erwecken. So ließ das Präsidententeam die Ergebnisse einer internen Telefonumfrage von KMIS leaken, die eine steigende Tendenz für Poroschenko zeigen sollten. Das Institut selbst hält die verwendete Methode allerdings für ungenau. Eine Studie des Drahomanow-Instituts, das mit Poroschenko indirekt in Verbindung gebracht wird, zeigt lediglich zehn Prozent Abstand zwischen den beiden Kandidaten. Wirklich seriös sind diese Daten nicht. »Selenskyj kann die Wahlen nicht mehr verlieren. Es sei denn, es passiert etwas ganz Unerwartetes«, sagt KMIS-Chef Wolodymyr Paniotto. »Sein Ergebnis wird ein bisschen kleiner, weil er jetzt auch öffentlich auftreten muss. Für Poroschenko ist es aber zu spät.«

Dem 53-Jährigen kann man jedoch kaum vorwerfen, dass er in diesen Wochen nicht gekämpft hätte. Poroschenko, auf dessen Pressekonferenz ukrainische Journalisten auch mal anderthalb Jahre warten mussten, war plötzlich fast jeden Tag in Talkshows zu sehen. Er ging sogar in die Politsendung des Senders 1+1 seines Erzfeindes Ihor Kolomojskyj, des zweitreichsten Oligarchen des Landes, dessen Unterstützung für Selenskyj ein offenes Geheimnis ist. Und wenn es ausnahmsweise keine Talkshows gab, nahm Poroschenko an öffentlichen Veranstaltungen teil oder gab Einzelinterviews.

Selenskyjs Strategie: das komplette Gegenteil. Wie vor dem ersten Wahlgang redete der 41-Jährige kaum mit der Presse, sondern kommunizierte mit seiner Wählerschaft über soziale Medien. Instagram und der Messenderdienst Telegram, aber auch Facebook sind für Selenskyj die heißesten Adressen. In diesen drei Wochen hat er nur ein einziges Interview gegeben - und zwar einem Journalisten, der ihn am Tag des ersten Wahlganges nach einer Wette im Tischtennis besiegte. Außerdem hat Selenskyj am Donnerstag auf 1+1, wo auch die meisten Sendungen seiner Produktionsfirma Kwartal 95 laufen, sein 20-köpfiges Team um den als Reformer geltenden Ex-Finanzminister Olexander Danyljuk vorgestellt. Danyljuk gilt als Wunschkandidat des Wahlfavoriten für den Posten des Außenministers.

Viel wichtiger ist jedoch, dass es dem Showman Selenskyj gelungen ist, Poroschenko, der sich gerne zu einem weltweit anerkannten Top-Diplomaten stilisiert, zum Teil seiner eigenen Performance zu machen. Wenn auch nicht alles, was der 41-Jährige in den vergangenen Wochen tat, gut für ihn war. Etwa beim Telefongespräch mit Poroschenko live auf 1+1 vor seinem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron machte er keine gute Figur. Doch allein die Tatsache, dass sich Poroschenko letztlich auf das TV-Duell am Freitagabend im Kiewer Olympijskyj-Stadion zu Selenskyjs Bedingungen, mit Zuschauern und Rahmenprogramm, eingelassen hat, spricht Bände. Ebenso wie das Spektakel rund um die Alkohol- und Drogentests bei Poroschenko, die Selenskyj eingefordert hatte.

»Es ist normal, wenn ein Showman Präsident werden will. Aber es ist schade, wenn der Präsident zum Showman wird«, kommentierte Selenskyj die Strategie seines Gegners in einem Kurzvideo. Poroschenkos Strategie bestand aber auch daraus, aus dem Kontrahenten einen Kreml-Agenten zu machen. So hat der Wahlstab des Präsidenten Plakate vorbereitet, auf denen sich Poroschenko und Putin gegenüberstehen. In der Unterzeile ist die Rede von der »entscheidenden Wahl« am 21. April. Auch die schwarze PR spielte eine große Rolle: In Kiew konnte man zuletzt an jeder Ecke Flugblätter ohne Impressum finden, in denen Selenskyj entweder Drogensucht oder Zusammenarbeit mit Moskau vorgeworfen wird.

Geholfen hat all das offenbar nicht - und nun steht Wolodymyr Selenskyj, Politneuling ohne jegliche Erfahrung, tatsächlich kurz davor, sechster Präsident zu werden. Auf ihn warten viele Herausforderungen, eine neue ist erst am Donnerstag dazu gekommen. Denn das Kiewer Bezirksgericht hat die Verstaatlichung der größten Bank des Landes Ende 2016, der größten Bank des Landes, die früher Kolomojskyj gehörte, für rechtswidrig erklärt. Zu erwarten ist ein langer Gerichtsprozess, doch die Frage ist bereits, wie unabhängig Selenskyj handeln wird, wenn es um die Interessen seines Verbündeten geht.

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