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Politshow statt Fernsehdebatte
Kandidatenduell im Fußballstadion: Unmittelbar vor der ukrainischen Präsidentenwahl hat Herausforderer Selenskyi bessere Aussichten als Amtsinhaber Poroschenko
Nach langem Hin und Her standen die ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Wolodymyr Selenskyj und Petro Poroschenko am Freitagabend doch beim Rededuell im Kiewer Olympiastadion - einem Ort, an dem im letzten Jahr das Champions-League-Finale stattfand. In den fast drei Wochen nach dem ersten Wahlgang, denn Selenskyj - Komiker, Schauspieler und Politikneuling - souverän gewann, ist vieles passiert. Die beiden Anwärter haben unzählige Videobotschaften aufgezeichnet und auch Drogentests abgegeben, der amtierende Präsident Poroschenko gar zweimal. Und obwohl sich die Wahlstäbe lange auf die Bedingungen der TV-Debatte nicht einigen konnten, ist es doch zur Show im Olympiastadion gekommen, wenngleich viele bis zuletzt nicht daran geglaubt haben.
Dieses Duell hat vor allem Poroschenko, der in Umfragen stark zurückliegt, gebraucht – in der Hoffnung, eine Wende zu schaffen und die auf den ersten Blick aussichtslose Ausgangslage vor der Stichwahl am Sonntag zu drehen. Zumal Poroschenko als starker Redner gilt, während Selenskyj zwar ein erfahrener Showman ist, jedoch noch nicht viel Ahnung von der Politik zeigen konnte. Für ihn war das Rededuell ein gewisses Risiko – und ausgerechnet das ist wohl der Grund, warum der 41-jährige Komiker auf der Option mit dem Fußballstadion, Zuschauer inklusive, bestanden hat. Poroschenko blieb letztlich nichts übrig, als nahezu allen Bedingungen seines Kontrahenten zuzustimmen. Schließlich sind seine Umfragewerte zu schwach, um eigene Forderungen massiv durchzusetzen.
Für politische Shows ist die Ukraine in den letzten Jahren bestens bekannt. Man kann sich zum Beispiel an die erfolgreiche Flucht des georgischen Ex-Präsidenten und Ex-Gouverneurs von Odessa Michail Saakaschwili vor dem Inlandsgeheimdienst SBU Ende 2017 erinnern. Oder an die »Auferstehung« des russischen Militärjournalisten Arkadij Babtschenko im letzten Frühjahr, der einen Tag lang als ermordet galt.
Doch ein Rededuell im Fußballstadion – das hat selbst die Ukraine noch nicht gesehen. Obwohl das Olympiastadion, Kapazität etwa 70.000 Menschen, mit nach Angaben der Polizei 22.000 Zuschauer nicht so voll aussah, kochte in der Arena die Stimmung hoch. Zunächst war je eine Bühne für Poroschenko und Selenskyj vorgesehen, die Anhänger der beiden Kandidaten wurden voneinander durch Sicherheitspersonal und Polizei getrennt. Das Innenministerium schickte 10.000 Polizisten ins Stadion.
Doch der 53-jährige Poroschenko sorgte bereits am Anfang des Duells für eine Überraschung, als er plötzlich auf die Bühne seines Gegners kam. Das war ein starker Schritt, wobei es ursprünglich Poroschenko war, der auf zwei Bühnen bestanden hatte. Die Anhänger des Präsidenten mussten aber nun die Debatte aus der Ferne beobachten, womit Selenskyj gleich seine Show begannen: »Begrüßen wir mal die Menschen, die mit den Bussen hergefahren sind.« Tatsächlich waren Poroschenko-Anhänger im Stadion in der klaren Mehrheit; sie haben nahezu jede Aussage Selenskyjs mit Buhrufen begleitet. Doch es blieb nicht unbemerkt, dass die Anreise eines großen Teils aus den Regionen zentral organisiert war. Die entsprechenden Busse waren am Freitag in Kiew nicht zu übersehen.
»Ich habe vor fünf Jahren selbst Poroschenko gewählt – und einen Fehler gemacht«, legte Selenskyj dann mit einer der vielen Schlagzeilen, die er an diesem Abend produziert hat, los. Die krisengeschüttelte Ex-Sowjetrepublik sei heute das ärmste Land – unter »dem reichsten Präsidenten«, erklärte Selenskyi. Poroschenko wiederum redete in seiner üblichen souveränen und emotionalen Manier, er wirkte stark und verglich etwa den Neuling Selenskyj mit einem unerfahrenen Chirurgen, der eine wichtige Operation durchführen muss. Auch warf Poroschehenko seinem Kontrahenten die Verbindung zum Oligarchen Ihor Kolomojskyj vor, die grundsätzlich als offenes Geheimnis gilt. Doch Selenskyj konnte unerwartet gut auf die Angriffe des Präsidenten antworten – und meinte letztlich: »Ich bin nicht Ihr Gegner. Ich bin Ihr Urteil.«
Im Endeffekt hatte die Debatte wie erwartet viele Showelemente, auch bei ernsten Themen – so gingen Poroschenko und Selenskyj beide aus Trauer für im Donbass gefallene Soldaten auf die Knie. Ob das wirklich notwendig war, ist sicher Geschmackssache. Am Ende bleibt aber vor allem eines: Poroschenko hat keinen Durchbruch geschafft und seine Chancen für die Stichwahl am Sonntag kaum vergrößert. Im Wahlstab von Selenskyj darf man sich langsam freuen.
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