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Nationaler Notstand am Tag der Trauer
In Sri Lanka wächst nach den islamistischen Anschlägen die Gefahr antimuslimischer Stimmung
Zwei Tage nach der Anschlagserie mit insgesamt acht Explosionen in Colombo, Negombo und Batticoloa geht auch die zweite landesweite Ausgangssperre zu Ende. War es am Ostermontag tagsüber noch ungewöhnlich ruhig für diese sonst so belebte Stadt, scheint es einen Tag später, am zum Trauertag deklarierten Dienstag, wieder lebendiger: Es haben mehr Geschäfte geöffnet, der Verkehr ist lauter, die Busse sind voller.
Aber wer diese Stadt kennt, weiß, von einem normalen Alltag kann noch nicht die Rede sein. Läuft man durch die Straßen, begegnet man überall Polizist*innen. Nicht-Passagiere müssen außerhalb des Flughafengeländes auf ihre Ankommenden warten, die Läden sind wenig gefüllt und die Menschen wirken vorsichtiger.
Wer in diesen Tagen ein Geschäft betritt, wird mit leicht verunsichertem Blick der am Eingang stehenden Mitarbeiterin bedacht, die unruhig auf die Tüte in der Hand blickt. Sobald sie erkennt, dass es nur der Einkauf vom Bäcker nebenan ist, lächelt die Mitarbeiterin beschämt und erklärt entschuldigend, dass sie noch etwas Angst habe. Und das ist nachvollziehbar, denn am Montag wurden in der Stadt an mehreren Orten erneut explosive Waffen gefunden: an einem großen Busbahnhof und in einem Auto in der Nähe des ersten Anschlagsortes der St. Antonius Kirche. Eine Warnung am Dienstagmorgen in der Nähe einer Bahnstation entpuppte sich immerhin als Fehlmeldung.
Aber Klarheit gibt es nicht. Offenbar handelt es sich bei den Täter*innen um eine örtliche radikal-islamistische Gruppe namens National Thowheeth Jama’th (NTJ). Jedoch sind Kontakte ihrerseits ins Ausland nicht auszuschließen, bekundete der Kabinettsprecher Rajitha Senaratne. Vize-Verteidigungsminister Ruwan Wijewardene erklärte am Dienstag im Parlament, die Anschläge seien nach ersten Erkenntnissen als Vergeltung für den Anschlag auf Moscheen in Christchurch, Neuseeland, im März gedacht. Alle paar Stunden tauchen Meldungen über erneute Festnahmen auf, mittlerweile sind es über 40 Personen. Waren es am Anfang ausschließlich Menschen sri-lankischer Nationalität, ist nun ein Syrer dabei. Derweil entsendet auf Anfrage der Regierung die internationale Polizeiorganisation Interpol Extremismus-Expert*innen nach Sri Lanka.
Die große Frage scheint zu sein, wie Anschläge derartigen Ausmaßes - mit mittlerweile 321 Toten - stattfinden konnten, obwohl es offensichtlich Vorwarnungen gegeben hat. Schon vor drei Jahren warnte der Vizepräsident des muslimischen Rates Sri Lanka, Hilmy Ahamed, vor den NTJ und erst vor wenigen Wochen soll der indische Geheimdienstes Hinweise auf die Selbstmordattentate geliefert haben.
Wurde der islamistische Terror deswegen unterschätzt, weil der ganze Fokus der Sicherheitsmaßnahmen, auch zehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs noch darauf gelegt wurde, einer möglichen Rückkehr der tamilischen Widerstandsbewegung auf der Spur zu sein? Während internationale Akteure sowie die sri-lankische Regierung sich darüber den Kopf zerbrechen, nehmen auf gesellschaftliche Ebene seit der Bekanntmachung der islamistischen Hintergründe der Taten ganz eigene Dynamiken ihrenLauf.
Obwohl seit Ostersonntag einige Kommunikationsmedien wie Facebook und WhatsApp gesperrt wurden, um soziale Konflikte zu vermeiden, sind erste Spannungen zu spüren. Diejenigen Personen in Sri Lanka, die die Sperrungen zu umgehen wissen oder andere Netzwerke wie Twitter nutzen, können die Auseinandersetzungen leicht nachvollziehen. Bereits jetzt sind rassistische und aufheizende Posts über die muslimische Minderheit vielfach im Netz zu finden. Die Kommentare reichen von allgemeinen Beschuldigungen über ein angebliches Versagen der muslimischen Gemeinschaft bis hin zu offensichtlich rassistisch-islamophober Hetzerei. Fotos mit Schildern, die ein Verbot des Zutritts zu Läden mit Vollverschleierung fordern, finden Zuspruch. Zudem bestätigte die Polizei kleinere Vorfälle von Vandalismus gegenüber einer Moschee und von Muslimen betriebenen Geschäften in verschiedenen Städten. »Auch Muslime sind gegen diese Extremisten«, äußerte Premierminister Ranil Wickremesinghe dazu am Dienstagmittag und appelliert an die sri-lankische Gesellschaft, Ruhe zu wahren.
Sri Lanka hat, ähnlich wie Indien, eine lange Tradition ethno-religiöser Aufstände, insbesondere gegenüber den Minderheiten des Landes. So war das anti-tamilische Pogrom des sogenannten »Black July« 1983 der ausschlaggebende Anlass für die tamilischen Separatisten-Bewegung. Und zuletzt wurde März 2018 der Nationale Notstand deklariert, als sich buddhistisch-nationalistische Gewalt gegenüber Muslimen in der Umgebung von Kandy ereignete. Nun sind muslimische Bürger*innen und Aktivist*innen besorgt. Langfristig könnten sich die islamistisch-geprägten Anschläge von Ostersonntag negativ auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft auswirken und tiefe Spaltungen anhand ethno-religiöser Linien hinterlassen. »Islamophobie ist schon jetzt auf einem anderen Level«, berichtet eine Aktivistin aus Jaffna.
Muslime in Sri Lanka, die sich als eigene Ethnie begreifen und häufig tamilisch sprechen, stellen nach der Mehrheit der Singhales*innen, die etwa 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und der Minderheit der Tamil*innen (elf Prozent) mit etwa neun Prozent die zweitgrößte Minderheit des Landes dar.
1990 von den tamilischen Separatist*innen aus dem Norden vertrieben, leben viele aus dem Norden stammende Muslime »unter sich« in der Provinz Puttalam. Seit den Rücksiedlungsprojekten 2010 sind aber einige in ihre ehemalige Heimatstädte, zum Beispiel nach Jaffna oder Mullaitivu, zurückgezogen. Dort leben sie nun gemeinsam mit der tamilischen Gemeinschaft. Genauso leben Personen muslimischen Hintergrunds in singhalesischen Gebieten, unter anderem in Colombo oder Kandy. Dass Muslime auf tamilischer wie singhalesischer Seite in den letzten Jahren zunehmend soziale Diskriminierung erfahren, gehörte schon vor den Anschlägen zu ihrem Alltag. Die im Nachbarland Indien so erfolgreichen hindu-nationalistischen Bewegungen sind dabei ein möglicher Einflussfaktor.
Die Regierung verhängte in der Nacht zu Dienstag den nationalen Notstand, mit speziellen Befugnissen für Polizei und Militär. Diese Befugnisse sind nicht zuletzt deswegen so umstritten, weil sie im Namen der nationalen Sicherheit während des Bürgerkriegs unzählige Male die Grundlage für monatelange Verhaftungen ohne jegliche richterliche Anweisungen bildete. Es bleibt zu hoffen, dass weder Sicherheitskräfte noch von Vorurteilen getriebene Bürger*innen die Gewalt gegenüber der Minderheit eskalieren.
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