- Berlin
- 1. Mai in Berlin
Revolution im Exil
1.-Mai-Demonstration weicht dem entpolitisierten »Myfest« und zieht nach Friedrichshain
Rot-schwarze Fahnen, bunte Transparente, laute »A-Anti-Anticapitalista«-Rufe. Wenn sich der Zug der »Revolutionären 1.-Mai-Demonstration« am kommenden Mittwochabend gegen 18 Uhr in Bewegung setzen wird, dann wird vieles so sein wie immer. Eines ist jedoch anders: Die Demonstration wird in diesem Jahr nicht durch Kreuzberg, sondern durch Friedrichshain ziehen.
Nach vielen vergeblichen Versuchen, den 1. Mai in Kreuzberg wieder zu politisieren, erscheint das Straßenfest »Myfest« dem Bündnis nicht mehr als geeignetes Umfeld für eine Demonstration. Die Veranstaltung hatte in den vergangenen Jahren immer mehr Party-Tourist*innen angelockt. »Die Aufstandsbekämpfungsstrategie von Bezirk und Senat hat den Kiez an diesem Tag in ein Ballermann-Festival verwandelt, in dem jede Demonstration im Suff-Techno-Konsum-Spektakel untergeht - oder noch schlimmer, als Teil des besonders coolen Berliner Tourismus-Charmes erscheint«, ist auf den Seiten der Radikalen Linken Berlin, die die Demonstration mitorganisiert, zu lesen. »Nach einer mehrjährigen Phase der Stagnation und des verlorenen Kräftemessens mit Berlins widerlichstem Straßenfest«, weiche die Demonstration deshalb nach Friedrichshain aus und ermögliche damit »seine Wiedergeburt als rebellisches Datum«, heißt es weiter in dem Aufruf zur Demonstration.
Die Wahl sei auf den Stadtteil gefallen, da dieser in den vergangenen Jahren immer mehr nach Profitinteressen umgestaltet worden und stark von Verdrängung betroffen sei, sagt Marko Lorenz, Sprecher der Radikalen Linken dem »nd«: »Reiche wurden in den Kiez geschwemmt, die Mieten explodieren.« Friedrichshain sei aber auch ein widerständiger Kiez, »in dem die Menschen wissen, dass es sich lohnt, gemeinsam für ein besseres Leben zu kämpfen«.
Den Umzug nach Friedrichshain sieht man deshalb auch nicht als Niederlage. »Es wäre eine Niederlage, immer wieder starrköpfig etwas zu versuchen, mit dem man einfach nicht weiterkommt«, so der Sprecher. In den vergangenen Monaten hatte es immer wieder Diskussionen um das von Jahr zu Jahr immer ausuferndere »Myfest« und die Zumutbarkeit für die Anwohner*innen gegeben. »Eigentlich ist es eine Niederlage für das ›Myfest‹, das damals mit der Legitimation angetreten ist, die eigentlich politische Veranstaltung zu sein. Mit der vollkommenen Kommerzialisierung und daraus resultierenden Belastung für die Menschen im Kiez, haben sie die verloren«, so Lorenz.
Inhaltlich wolle man sich in diesem Jahr vor allem darauf konzentrieren, die Auswirkungen des Kapitalismus in Berlin und die verschiedenen Kämpfe dagegen sichtbar zu machen. Dazu gehöre insbesondere das Thema Wohnen als Ware, aber auch die enorme Überwachung in der Stadt. Ebenso wolle man prekäre Arbeitsbedingungen ansprechen, in Friedrichshain vor allem in der Gastronomie sowie in den vielen Start-ups oder bei Zalando. Ein weiteres wichtiges Thema sei auch die allerorts sichtbare Werbung und die allumfassende Kommerzialisierung des Lebens: »Die Stadt wird immer mehr so zurechtgezurrt, dass die Reichen Gewinn abschöpfen können.« Unter dem Motto »Gegen die Stadt der Reichen« wolle man zeigen, dass nur eine Überwindung des Kapitalismus diese Probleme lösen könne. »Am 1. Mai gehen alle Menschen gemeinsam auf die Straße, die sich eine bessere Welt wünschen. Egal, ob sie Probleme mit ihrem Vermieter haben, sich für die Enteignung von Deutsche Wohnen & Co. engagieren oder für den Erhalt ihres Hausprojektes streiten«, so Lorenz.
Beginnen wird die Demo am Wismarplatz. Über die Grünberger Straße und Frankfurter Allee will sie zur Rigaer Straße ziehen, wo sich auch das von Verdrängung bedrohte Hausprojekt Liebig 34 befindet. Die Abschlusskundgebung soll an der Warschauer Brücke stattfinden.
Das Bündnis erwartet genauso viele Teilnehmende wie in den vergangenen Jahren. »Wir hoffen, dass die Demo ein kraftvolles Zeichen wird und von verschiedensten Menschen und Gruppen genutzt wird, sich politisch zu artikulieren und ihre Kämpfe sichtbar zu machen«, so Lorenz.
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