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Die große Dürre - noch als Modell
Während Wälder brennen, drängen Katastrophenschützer zu Taten - Politiker aber zaudern
Der »Jahrhundertsommer« 2018 hat Flüsse ausgetrocknet, für Ernteausfälle gesorgt, Wälder brennen lassen. Die Auswirkungen sind noch immer spürbar. Aktuell fehlender Niederschlag und für die Jahreszeit ungewöhnlich hohe Temperaturen lassen befürchten, dass sich das in diesem Jahr wiederholt. Zahlreiche Feuerwehren - vor allem im Osten der Republik - mussten 2019 bereits zur Waldbrandbekämpfung ausrücken.
Das alles ist harmlos, vergleicht man die aktuelle Lage mit der, die von Experten unter Federführung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) skizziert wird. Ihr »Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2018« ist 150 Seiten dick und beschreibt mögliche Auswirkungen einer mehrjährigen Dürre. Das Szenario sei angesichts der 2018er Erfahrungen »ein durchaus realistisches Ereignis«, zumal sich alles vor dem Hintergrund des allerorts spürbaren Klimawandels abspielt. Bei den Berechnungen nahm man die Dürreperiode zwischen 1971 und 1976 als Ausgangspunkt, reduzierte die damalige Niederschlagsmenge um ein weiteres Viertel und erhöhte die Mitteltemperatur um ein Grad Celsius. Da sich Hitze- mit Kältewellen verbinden können, senkte man im sechsten Jahr die Tagesmitteltemperatur im Februar um fünf und erhöhte die im August um sechs Grad.
Die Experten definieren Handlungsfelder im Bereich sogenannter kritischer Infrastrukturen, untersuchen Wechselwirkungen zwischen ihnen. Obenan steht die Trinkwasserversorgung, es folgen das Talsperren- und Speichermanagement sowie die Abwasserbehandlung. Einschränkungen in der Energieversorgung hätten gewaltige Auswirkungen, Wirtschaft und Verkehr wären extrem beeinträchtigt, Probleme zeigen sich im Ernährungssektor. Das Gesundheitswesen ist gleich mehrfach betroffen.
Unter dem Stichwort »Schutzgut Mensch« findet sich, dass man mit bis zu 10.000 zusätzlichen Todesfällen rechnen müsse. Skeptiker werden auf Erfahrungen aus dem August 2003 verwiesen. Damals registrierte man in Deutschland 7295 Hitzetode. Laut Szenario müsse man mit einer Zunahme der Sterberate um elf, zeitweise sogar um 20 Prozent rechnen. Dürre und Vegetationsbrände erzeugten bis zu 100.000 vielseitig Hilfsbedürftige. Bis zu fünf Prozent der geschützten Naturflächen und doppelt so viele Oberflächengewässer wären unmittelbar geschädigt, außerdem jeder zehnte Hektar Wald.
Während die öffentliche Hand die auftretenden Schäden durch Umschichtungen in ihren Haushalten noch beherrschen könnte, käme die Privatwirtschaft ohne Staatshilfen nicht aus. 40.000 Haushalte bräuchten Hilfe zur Wiedererstellung ihrer Lebensgrundlagen. Man rechnet damit, dass bis zu 100.000 Menschen von psychosozialen Auswirkungen der Dürre betroffen sein könnten. Das alles, so warnen die Katastrophenschützer mit Hintersinn, habe »große politische Auswirkungen bis zur Bundesebene«. Nicht zufällig wurde der Bericht auch dem Bundestag zugeleitet. Nun sei es »an Unternehmen, Institutionen, Organisationen und den Bürgerinnen und Bürgern selbst, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen«, betont Christoph Unger, Präsident des BBK.
Dass man Schlussfolgerungen zieht, hatten Bund und Länder bereits nach den verheerenden Waldbränden im vergangenen Jahr versprochen. Laut Ausstattungskonzept des Bundes zum Katastrophenschutz sind für die Feuerwehren 955 Löschgruppenfahrzeuge festgelegt. 539 gibt es. Von 466 Schlauchwagen sind 405 verfügbar. Es würden Beschaffungsmaßnahmen laufen, wird abgewiegelt. Zugleich wird im Bericht behauptet, dass Hubschrauber der Bundespolizei und der Bundeswehr zur Brandbekämpfung verfügbar seien. Ziviles Fluggerät für Löscheinsätze gibt es in der Bundesrepublik nicht, obgleich einige Innenminister - beispielsweise der in Brandenburg - den Medien Unqualifiziertes über denkbare landeseigene Drehflügler erzählt.
Laut BBK-Studie ist gerade die Bundeswehr »im Rahmen ihrer freien Kapazitäten« besonders gut zur Hilfeleistung geeignet. Tatsächlich kann ein CH-53-Hubschrauber pro Flug bis zu 5000 Liter Wasser über nahezu jedem Brandherd abladen - weshalb der Deutsche Feuerwehrverband wünscht, dass das Militär mehr Maschinen für rasche Einsätze bereithält. Das würde die Luftwaffe gern tun - allein deren Helikopter sind restlos »abgeflogen«. Man muss sie deshalb sogar aus dem Afghanistaneinsatz heimholen.
Ersatz gäbe es: Die US-Hersteller Sikorski und Boeing überbieten sich mit Verkaufsofferten. Auch stehen laut Bundeswehrplanung über fünf Milliarden Euro bereit. Doch zuständige Politiker können sich nicht für einen der beiden Typen entscheiden.
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