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G20-Prozess: Zweifel an Polizeiarbeit
Landgericht will sich nicht mehr auf Aussagen der Beamten verlassen - Ausgang des Elbchausee-Verfahrens unklar
Der G20-Gipfel in Hamburg liegt nun bald fast zwei Jahre zurück. Die juristischen und politischen Auseinandersetzungen um die Protesttage dauern jedoch bis heute an. Eine der Hauptstreitfragen bleibt, ob Demonstranten für Taten verantwortlich gemacht werden können, die aus ihrem Aufzug heraus von anderen begangen worden sind.
Die Soko »Schwarzer Block« der Hamburger Polizei und die Staatsanwaltschaft versuchen in mehreren Prozessen, diese Rechtsauslegung durchzusetzen. Im Verfolgungseifer lassen die Beamten aber offenbar die Gründlichkeit etwas schleifen. Das zeigen Zweifel des Hamburger Landgerichts an der Ermittlungsarbeit der Polizei.
Bezüglich des umstrittenen Verfahrens um die Ausschreitungen auf der Elbchaussee sei auf das »geschriebene Wort« der Beamten »wenig Verlass«, soll es nach Recherchen des NDR in einem Beschluss der zuständigen Strafkammer des Landgerichts heißen. Zeugen sollen demnach bei ihrer Vernehmung während der Hauptverhandlung Aussagen, die die Polizei in deren Namen in der Ermittlungsakte vermerkt hatte, entschieden bestritten haben. Polizeivermerke hätten sie als »Quatsch« bezeichnet und beteuert, sie nie in dieser Form gemacht zu haben. Laut den Recherchen wollen sich die Richter daher nicht mehr auf »weitere Polizeivermerke« verlassen.
Die Richter seien nach der Vernehmung des Ermittlungsführers der Polizei außerdem zu dem Schluss gekommen, dass man sich auf dessen Abschlussbericht nur wenig stützen könne. Der Beamte habe in seiner Vernehmung angebliche Ermittlungsergebnisse als »Arbeitshypothesen« bezeichnet. Auch die Videos vom Aufmarsch auf der Elbchaussee während des G20-Gipfels seien nicht so aussagekräftig, wie es zuerst schien. Das gelte besonders dann, wenn man die Videos ohne die - aus Sicht der Richter - »suggestiven Bearbeitungen« der Polizei anschaue.
Für Staatsanwaltschaft und Polizei ist die Kritik des Gerichts eine herbe Schlappe. Seit mehreren Monaten versuchen sie, Demonstranten für die Ausschreitungen an der Elbchaussee zur Verantwortung zu ziehen. Angeklagt sind in dem Prozess vier Deutsche und ein Franzose. Gegen sie wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt.
Am Morgen des 7. Juli, 2017 war eine Gruppe von mehr als 200 Personen durch die Hamburger Elbchaussee gezogen. In der noblen Straße zündeten aus dem Aufzug heraus Vermummte Autos an und schlugen Schaufenster ein. Laut Staatsanwaltschaft entstand ein Schaden von rund einer Million Euro. Ermittler hatten die Angeklagten anhand von Videos als Teilnehmer der Gruppe identifiziert. Ihnen werden schwerer Landfriedensbruch, Mittäterschaft bei Brandstiftung, gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Der heikle Punkt: Konkrete Handlungen abseits des Mitlaufens können keinem der Angeklagten nachgewiesen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 1985 in seinem Brokdorf-Beschluss festgehalten, dass »Unfriedlichkeit« einzelner Teilnehmender das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht aushebeln dürfe. Während Staatsanwaltschaft und Polizei darauf bestehen, dass der Elbchaussee-Aufzug keine Versammlung gewesen sei, warnen Verteidigung und Bürgerrechtler vor einer Rechtsauslegung, die einzelne Demonstranten stellvertretend für Straftaten anderer haftbar macht.
Die Staatsanwaltschaft hatte nach Angaben vom März bisher mehr als 850 Ermittlungsverfahren gegen G20-Gegner geführt, 276 Anklagen erhoben, 73 Mal Strafbefehle beantragt. Gerichte sprachen über 130 Urteile. Eine Aufarbeitung in den Reihen der Sicherheitsbehörden findet derweil kaum statt. 94 von 154 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wurden eingestellt, in keinem einzigen Fall Anklage erhoben. Im März hatte die Polizei zum fünften Mal trotz massiver Einwände von Datenschützern eine Öffentlichkeitsfahndung gestartet.
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