Vom Winde verweht

Mikroplastik erreicht auch entlegene Gegenden auf dem Festland - auf dem Luftweg.

  • Bernd Schröder
  • Lesedauer: 4 Min.

Mikroskopisch kleine Kunststoffteilchen sind mittlerweile zum globalen Problem geworden. Sie sind in den Weltmeeren zu finden, im Eis der Polargebiete und in den Sedimenten der Meeresböden der Tiefsee. In diese vom Ort ihrer Herstellung und hauptsächlichen Nutzung weit entfernten Gegenden gelangen sie vor allem über die Wasserläufe. Eine im Fachblatt »Nature Geoscience« vorgestellte Studie fügt dem Verteilungsbild nun eine weitere Facette hinzu: Die Forscher konnten selbst in entlegenen Gebieten des Festlands solche Plastikteilchen nachweisen.

Branchenkenner schätzen die weltweite jährliche Kunststoffproduktion derzeit auf 335 Millionen Tonnen. Davon werden allein in Europa 60 Millionen Tonnen hergestellt (Stand 2016). 27 Millionen Tonnen Plastik wiederum werden dort jedes Jahr als wiederverwerteter, verbrannter oder deponierter Müll erfasst. Für die Autoren der Studie werfen diese Zahlen Fragen zum Verbleib der restlichen 33 Millionen Tonnen auf: Einige Kunststoffe in langlebigen Gütern, die bis zu einem halben Jahrhundert im Gebrauch sind, könnten zumindest einen Teil der Diskrepanz in der europäischen Massenbilanz von Kunststoffen erklären. Weitere zehn Prozent der erzeugten Kunststoffmenge gelangen nach Schätzungen von Wissenschaftlern jährlich in die Weltmeere.

Der Ursprung von Mikroplastikpartikeln ist vielfältig: Sie bilden sich beim mechanischen Verschleiß größerer Kunststoffprodukte wie etwa Autoreifen. Oder sie finden sich als faserige Schuppen in den Flusensieben von Wäschetrocknern oder Waschmaschinen wieder. Andere - beispielsweise Scheuermittel in Reinigungs- und Kosmetikprodukten - werden bewusst freigesetzt. Mikroplastik-Teilchen sind persistent in der Umwelt: Bis zu ihrem vollständigen Abbau brauchen sie teilweise Hunderte von Jahren.

Kürzlich durchgeführte Studien hatten Mikroplastik im Sediment von Flüssen und Seen identifiziert. In großen Städten sind sie Bestandteil des Feinstaubs. Mit Niederschlägen können sie den Boden erreichen und sich dort ablagern. Über welche Strecken sie transportiert und wie weit sie über Stadtgrenzen hinaus weiterverbreitet werden können, ist derzeit unklar. Um Anhaltspunkte zu finden, wie weit Mikroplastik mit der Luft transportiert werden kann, hatten Umweltforscher in den französischen Pyrenäen regelmäßig in einem Zeitraum von fünf Wintermonaten die vom Himmel herabfallenden Partikel gesammelt, die im Verein mit Staub, Regen oder Schnee niedergingen.

Die meteorologische Station Bernadouze ist rund 100 Kilometer von Toulouse im Norden und 120 Kilometer von Perpignan im Osten entfernt und liegt in einer Höhe von 1425 Metern über dem Meeresspiegel.

Die Autoren fanden zu ihrer Überraschung vorwiegend Kunststoffreste aus Einwegverpackungen, hauptsächlich Polystyren und Polyethylen, Polypropylen und Polyethylenterephthalat. Aus ihrer Beprobung schließen sie, dass jeden Tag durchschnittlich 365 Kunststoffpartikel pro Quadratmeter in der Auffangvorrichtung der Station ausgesiebt wurden - eine vergleichbar Menge, wie sie zuvor nur in Großstädten gemessen wurde. Da die Gegend - ein Naturpark - nur dünn besiedelt ist, stammen die Plastikpartikel vorwiegend nicht aus lokalen Quellen. Die gesammelten Mikroplastikteilchen könnten vor allem in größeren Städten entstanden sein, was darauf hindeutet, dass sie mindestens 100 Kilometer in der Atmosphäre mitreisten, bevor sie wieder zu Boden gingen. Und die winzigen Teilchen könnten sich noch viel weiter bewegen: In den Pyrenäen werden beispielsweise auch Staubpartikel aus der Sahara gefunden, die doppelt so groß und schwer sind wie die in der Studie gefundenen Kunststoff-Fragmente. Auch Vulkanasche kann über weite Strecken transportiert werden.

Das nächste Ziel der Wissenschaftler ist, die vorgefundenen Mikroplastikpartikel bis zu ihrer Quelle zurückverfolgen. Computersimulationen haben erste Anhaltspunkte geliefert - für eine Quellenortung von Material aus weiter entfernten Quellen ist die gewählte Methode jedoch ungeeignet. Wenn es um die Herkunft von Luftmassen in so komplexem Terrain wie im vorliegenden Fall geht, ist ein höherer Aufwand vonnöten.

Die mit Mikroplastik in der Umwelt verbundenen Risiken bleiben vorerst noch im Dunkeln. Es gibt zumindest erste Hinweise auf einige versteckte Gefahren. Mikroplastik könnte wegen der relativ großen Oberfläche der Partikel als Träger für organische Schadstoffe dienen. Die Tatsache, dass Mikroplastik in Trinkwasser und Lebensmitteln angetroffen wird, ohne dass der Mensch die Konsequenzen abschätzen kann, macht eins klar: Die Erforschung von Mikroplastik in der Umwelt steht erst am Anfang. Dahin sollten sie idealerweise gar nicht erst gelangen. Hier sind neue Wege bei Müllvermeidung und bei der Wiederverwertung gefragt. Kunststoffteilchen, die mit fortschreitendem Abbau klein genug werden, um in die aquatische Umwelt überzugehen oder in die Atmosphäre aufzusteigen, sind praktisch nicht mehr einzufangen. Die einzige praktikable Lösung: von vornherein weniger davon produzieren.

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