Macron geht auf Rechte zu

Frankreichs Präsident möchte sich mit einem guten Ergebnis bei der Europawahl neue Legitimation verschaffen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Vorbereitung der Europawahl läuft diesmal in Frankreich ohne rechten Schwung und Engagement. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung werden seit Monaten durch die Proteste der Gelben Westen bedrängt und haben als Reaktion darauf drei Monate lang eine Nationale Debatte geführt, deren Bilanz und die daraus abgeleitete Maßnahmen gerade erst vorgelegt wurden. Auf der Gegenseite hat sich die rechte wie linke Opposition immer noch nicht von der Niederlage bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 erholt.

Aber auch die von Macron ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl gegründete Bewegung En marche, auf deren überwältigende Mehrheit in der Nationalversammlung sich die Regierung stützen kann, hat Probleme, über die Rolle einer »Abstimmungsmaschine« hinaus eine eigenständige politische Rolle zu spielen. Dabei strebt Macron für En marche bei der Europawahl den ersten Platz unter den Parteien an. Damit will er die rechtsextreme Bewegung Rassemblement National (RN) auf die Plätze verweisen und für sich selbst eine neue Legitimation für seine Reformen im eigenen Land und seine Ambitionen in Europa gewinnen. Jüngsten Umfragen zufolge kann En marche mit 24 Prozent der Wählerstimmen rechnen, RN mit 21 Prozent und die Republikaner mit 14 Prozent.

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Die Kandidatenliste von En marche fürs Europaparlament wird durch die ehemalige sozialistische Europaministerin Nathalie Loiseau angeführt, die kein Redetalent hat und alles andere als charismatisch ist. Als Nummer zwei auf der Liste hat En marche einen ehemaligen Grünenpolitiker gewonnen, der ihr umweltbewusste Wähler zuführen soll. Eine vergleichbare Geste in Richtung der Linkswähler versucht En marche gar nicht erst, wohl weil das bei der neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik von Macron wenig überzeugend wäre.

Statt dessen versucht der Präsident, seiner Bewegung konservative, wenn nicht sogar nationalistische und »identitäre« Wähler zuzuführen. So fand Macron auf seiner jüngsten Pressekonferenz starke Worte zur »Sicherung der Außengrenzen Europas« und zur »Begrenzung der Einwanderung«. Gleichzeitig kritisierte Macron die mangelnde »Verwurzelung der Eliten in den Territorien«. Auch stellte er die - bislang von ihm immer als unausweichlich dargestellte - »Globalisierung« den »Volksmassen« und deren Interessen gegenüber. Das sind Töne, wie man sie bisher vom rechten Rand des politischen Spektrums hörte - Macron war vor zwei Jahren mit dem Anspruch angetreten, »weder rechts noch links« zu sein.

Aber auch bei den Oppositionsparteien hat man angesichts der Verschiebungen auf dem politischen Parkett das Visier neu ausgerichtet. So versuchen die Republikaner, die zerstrittener denn je sind, sich neuerdings als umweltbewusst und sozialverträglich zu profilieren. Wenig überzeugendes »Greenwashing« betreibt auch RN von Marine Le Pen, das aber zu sozialen Themen durchaus punkten kann. Indem die Bewegung populistisch die Klagen einkommensschwacher und sozial benachteiligter Franzosen aufgreift, kann sie viele von ihnen und damit auch viele Gelbe Westen für sich gewinnen - weitaus mehr als jede andere Partei. Aus den Reihen der Gelben Westen heraus wurden zwar zwei Listen für die Europawahl eingereicht, aber ob die tatsächlich am Wahlkampf teilnehmen werden, ist fraglich, denn bisher fehlen ihnen dafür die nötigen Mittel.

RN als schon jetzt stärkste Oppositionskraft glaubt das Ziel, bei der Europawahl das höchste Wählervotum zu erzielen, in greifbarer Nähe. Mit dem Schub eines solchen Sieges würde Marine Le Pen eine Führungsrolle bei der Sammlung der rechtsextremen, nationalistischen und identitären Parteien aus ganz Europa anstreben. Allerdings dürfte es schwer werden, diese sehr unterschiedlichen Richtungen auf eine Linie einzuschwören. Jedenfalls hat Le Pen aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und will nicht mehr aus der EU oder der Eurozone austreten, sondern diese »von innen verändern«.

Die stärkste linke Oppositionsbewegung La France Insoumise (LFI), die ganz auf ihren Gründer, den redegewandt-charismatischen Jean-Luc Mélenchon ausgerichtet ist, hat sich verrechnet, als sie vor sechs Monaten beim Auftauchen der Gelben Westen sicher war, dass diese ihr zufließen würden. Die RN übt eine stärkere Anziehungskraft aus, und so liegen die Wahlprognosen für LFI heute mit 8,5 Prozent weit unter den 19,5 Prozent, die 2017 für Mélenchon votierten. Am Wochenende allerdings verzeichnete die »Gelbwesten«-Bewegung ihren bisherigen Tiefpunkt: Weniger als 20.000 Menschen beteiligten sich landesweit an ihren Demonstrationen.

Die restliche Linke, die durch ihn lange von oben herab behandelt und keines Bündnisses mit LFI für würdig befunden wurde und der Mélenchon erst jetzt ein halbherziges Kooperationsangebot macht, besteht vor allem aus den Splitterparteien, die bei der Explosion der Sozialistischen Partei (PS) nach deren Debakel 2017 zurückgeblieben sind. Zahlreiche Führungspersönlichkeiten haben der PS den Rücken gekehrt und eigene Parteien oder Bewegungen gebildet wie beispielsweise Benoit Hamon mit Génération S. Hinzu kamen Neugründungen von bisher parteilosen Linken wie Place public des Philosophen Raphael Glucksmann. Die Rest-PS wird von dem neuen Parteivorsitzenden Olivier Faure geführt, der vor 2017 zum linken Flügel der Partei gehörte.

Das einzige Bündnis, das links zustande kam, vereint die Sozialisten und Place public, wobei der PS-Parteichef Faure dem Philosophen Glucksmann den Spitzenplatz auf der gemeinsamen Kandidatenliste überlässt. Doch dieser Liste sagen die Umfrageinstitute nur fünf Prozent voraus, Génération S 3,5 Prozent und den Kommunisten zwei Prozent. Die Grünen sollen es auf immerhin acht Prozent bringen, doch ihr Versuch einer massiven »Übernahme« der Wähler der zerstrittenen Linken misslang.

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