Der Fluch der Bohne

Der Anbau von Soja bringt Brasiliens Regenwald in Gefahr

  • Denis Düttmann und Angelika Engler, Santarém
  • Lesedauer: 4 Min.

Gleich hinter Açaizal fangen die Felder an. Soja soweit das Auge reicht. Früher stand hier dichter Wald, heute reichen die Pflanzungen bis zum Horizont. »Große Flächen wurden völlig zerstört, wir können uns nicht mehr selbst ernähren«, klagt Dorfvorsteher Josenildo vom Volk der Munduruku. »Das Leben mit Soja ist jeden Tag ein Kampf ums Überleben, jeden Tag haben wir weniger Lebensraum.«

Brasilien ist der zweitgrößte Sojaproduzent der Welt. Zuletzt wurden in dem südamerikanischen Land 117 Millionen Tonnen Sojabohnen geerntet. Und bald könnten die Agrarunternehmen der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas noch einmal eine ordentliche Schippe drauflegen, denn es lockt ein Riesengeschäft.

Grund ist der Handelsstreit zwischen den USA und China. 2018 belegten sich die beiden Länder gegenseitig mit Strafzöllen von bis zu 25 Prozent. Das macht Soja aus den Vereinigten Staaten für die Chinesen teurer und sie schauen sich nach neuen Lieferanten um. 2018 gingen die Sojaexporte aus den USA nach China bereits um die Hälfte zurück.

Brasilien könnte nun in die Bresche springen - mit möglicherweise fatalen Folgen für den Regenwald. »Wir befürchten großflächige Abholzungen in Brasilien als Folge des Handelskrieges«, sagt Klimaforscher Richard Fuchs vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). »In der Vergangenheit hat die steigende globale Nachfrage nach Soja regelmäßig zu Waldrodungen im Amazonasgebiet geführt, um Platz für neue Anbauflächen zu schaffen.«

Gemeinsam mit Kollegen hat der Wissenschaftler die möglichen Auswirkungen der Verschiebung im weltweiten Sojageschäft untersucht. Der Handelskrieg sei ein Desaster für den Amazonasregenwald, schreiben sie im Fachmagazin »Nature«. Im schlechtesten Fall könnten in Brasilien 12,9 Millionen Hektar zusätzliches Ackerland gebraucht werden, um den chinesischen Sojahunger zu stillen - das entspricht in etwa der Größe von Griechenland.

Soja dient vor allem als Tiernahrung. In den vergangenen Jahren sind Millionen Chinesen in die Mittelschicht aufgestiegen und können sich nun Fleisch leisten. Selbst bauen die Chinesen immer weniger Soja an, weil der Import deutlich günstiger ist. Seit 2000 ging die Anbaufläche um rund 25 Prozent zurück.

Schon jetzt bezieht China 75 Prozent seiner Soja-Importe aus Brasilien. Aus den USA importierte es zuletzt 37,6 Millionen Tonnen Soja. Würde China die gleiche Menge künftig in Brasilien einkaufen, müsste die Anbaufläche dort um 39 Prozent ausgeweitet werden. »Brasilien ist das einzige Land, das seine Sojaproduktion so schnell hochfahren kann«, sagt Fuchs. »Üblicherweise werden zunächst Weideflächen in Ackerland umgewidmet und dann Waldflächen gerodet, um Platz für das Vieh zu schaffen.«

Bei der Landnahme geht es hemdsärmelig zu: Die Farmer nehmen oft wenig Rücksicht auf die indigenen Völker oder ausgewiesene Schutzgebiete. Nicht selten werden die Bewohner mit Besitzurkunden, die auf gefälschten Dokumenten beruhen, vertrieben. Wenn das nicht hilft, sprechen die Waffen. Seit Jahresbeginn wurden nach Angaben der brasilianischen Landpastoralkommission mindestens elf Menschen in Landkonflikten getötet.

Die Vernichtung von Regenwald im Amazonas hat globale Folgen. Die Entwaldung setzt riesige Mengen an Kohlendioxid frei und befeuert damit die Klimaerwärmung. Um etwas gegen die Abholzung von Regenwald für neue Acker- oder Weideflächen zu tun, sollten nach Ansicht von Wissenschaftler Fuchs die Verbraucher zur Kasse gebeten werden. »Der Fleischkonsum muss sinken«, sagt er. »Die EU-Staaten könnten Fleisch von Tieren, die mit Soja aus Regenwaldgebieten gemästet werden, pauschal besteuern. Damit würden die ökologischen Folgekosten mit eingepreist.«

Doch es ist Eile geboten: Bislang waren 1995 und 2004 die Jahre mit der schwersten Abholzung in Brasilien, drei Millionen Hektar Wald gingen damals jeweils verloren. Legt man diese Rate zugrunde, könnte Brasilien in etwas mehr als vier Jahren genug neue Anbaufläche für den Bedarf aus China schaffen. Auch wenn andere große Produzenten wie Argentinien ihre Importe steigern und China seine eigene Produktion wieder hochfährt, müssen nach Berechnungen der KIT-Wissenschaftler in Brasilien noch immer 5,7 Millionen Hektar fallen - eine Fläche von der Größe Kroatiens.

Der brasilianischen Regierung dürfte die Nachfrage aus China gelegen kommen. Der rechte Präsident Jair Bolsonaro hält den unberührten Regenwald ohnehin für wirtschaftlich totes Land und will das Amazonasgebiet künftig stärker nutzen. Gleich nach seinem Amtsantritt an Neujahr übertrug er die Zuständigkeit für die Schutzgebiete der indigenen und afrobrasilianischen Gemeinschaften dem Landwirtschaftsministerium. An die Spitze des Ressorts setzte er die einflussreiche Agrar-Lobbyistin Tereza Cristina. »Unter dem indigenen Land liegt Wohlstand«, sagte Bolsonaro einmal.

Für die Ureinwohner in Açaizal haben die Sojabohnen nur Unheil gebracht. »Früher war hier nur Wald, wir hatten viele Früchte und Fische«, sagt Paulo da Silva Biseira und blickt auf das riesige Feld, das zehn Meter hinter seinem Haus beginnt. »Doch die Pflanzenschutzmittel sind in den Fluss gelangt, haben das Wasser, die Fische und den Boden vergiftet«. dpa/nd

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