Mieten verstärken Ungleichheit

Die Einkommen driften hierzulande seit der Finanzkrise weiter auseinander

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Als vergangene Woche die Debatte um die Sozialismus-Thesen von Kevin Kühnert tobte, zählte Marcel Fratzscher zu den wenigen Stimmen, die den Juso-Chef in Schutz nahmen. »Ich teile nicht die Kritik Kühnerts zu sagen, wir brauchen eine sozialistische Marktwirtschaft«, sagte der Chef des renommierten Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). »Aber es gibt viel Missbrauch in der Sozialen Marktwirtschaft, wenn man sich die Diskussionen um Mietpreise und Wohnungsmarkt anschaut.«

Nun präsentierte sein Institut am Dienstag Zahlen, die belegen, dass die Einkommensungleichheit hierzulande seit der Finanzkrise noch weiter zugenommen hat. Ein Grund hierfür ist, dass die oberen zehn Prozent besonders häufig Immobilien besitzen und so von den steigenden Mieten in den Großstädten profitieren. Allein zwischen 2015 und 2016 stieg ihr ihr verfügbares Nettoeinkommen im Mittel um 3,7 Prozent und damit so schnell wie in keiner anderen Einkommensgruppe. Bei den untersten zehn Prozent ging das Einkommen im gleichen Zeitraum sogar um 1,3 Prozent zurück.

Betrachtet man einen längeren Zeitraum, dann ist der Unterschied noch weitaus gravierender: Stiegen die Einkommen zwischen 1991 und 2016 der obersten zehn Prozent um 35 Prozent, so waren es im Gesamtschnitt nur 18 Prozent. Die unteren zehn Prozent hatten derweil 2016 neun Prozent weniger in der Tasche als noch 1991. »Je geringer die Einkommen, desto geringer waren die Einkommenszuwächse«, fasst DIW-Forscher Jan Goebel die Entwicklung denn auch zusammen.

Die Folge ist, dass die Lebensrealitäten zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehen. Denn wenn die Einkommen am oberen Ende der sozialen Leiter schnell als in der Mitte oder am Ende, dann bedeutet dies, das die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgeht. Hatten die obersten zehn Prozent 1991 noch das dreifache wie die untersten zehn Prozent zur Verfügung, war es 2010 schon das 3,4-Fache. Nun ist das 3,7-Fache.

Gleichzeitig nahm seit der Finanzkrise die Zahl jener zu, die mit einem Niedrigeinkommen über die Runden kommen müssen. Dies sind derzeit alle Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Dies waren für einen Single zuletzt 1120 Euro im Monat. Gemeinhin wird diese Schwelle auch als Armutsschwelle beziehungsweise Armutsgefährdungsschwelle bezeichnet. Mussten 1991 noch 11,4 Prozent aller Haushalte unterhalb dieser Schwelle leben, so waren es nach den Zahlen des DIW 2010 14,2 und 2016 16,6 Prozent.

Eine Erklärung für die Entwicklung ist den DIW-Forschern zufolge die seit 2010 starke Zuwanderung, da Migrantinnen und Migranten in den ersten Jahren oftmals nur ein niedriges Einkommen erzielen. Jedoch zeigt eine andere, jüngst veröffentlichte Studie des DIW, dass der Niedriglohnsektor seit Mitte der 1990er Jahre extrem ausgeweitet wurde. Demnach arbeiteten zuletzt über neun Millionen Menschen im Niedriglohnsektor.

»Die wachsende Lohnungleichheit hat die Bundesregierung mit ihrer Lohndumpingstrategie zu verantworten«, kommentierte folglich die stellvertretende Vorsitzende der LINKEN im Bundestag, Susanne Ferschl, die neuen Zahlen des DIW. Über Jahre hinweg habe die Bundesregierung die Verhandlungsposition der Beschäftigten sukzessive geschwächt.

Nicht nur das. Wie das DIW zeigt, haben die Bundesregierungen der letzten Jahre auch durch Steuerreformen die Wohlhabenden besser und die Ärmeren schlechtergestellt. Diese Maßnahmen führten dazu, dass das reichste ein Prozent 2015 im Vergleich zu 1998 4,8 Prozent weniger Steuern zahlen musste, während die untersten zehn Prozent 5,4 Prozent mehr an Abgaben berappen mussten. Deswegen spricht sich das DIW auch gegen die Abschaffung des Solidaritätszuschlags aus, weil dadurch vor allem Besserverdiener profitieren würden.

Zudem sprechen sich die Forscher für eine neue Wohnungspolitik aus. Denn die steigenden Mieten belasten vor allem in den Großstädten die Niedrigverdiener, wo ihre Zahl besonders stark zunahm. Gleichzeitig profitierten die obersten zehn Prozent von der angespannten Wohnsituation, weil sie häufig Eigentum besitzen. Ihre Mieteinnahmen stiegen laut dem DIW zwischen 2010 und 2016 im Schnitt um 39 Prozent.

Kommentar Seite 10

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.