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Ein Blick hinter die Uniform
Mit prominenter Unterstützung will das Innenministerium das Ansehen von Polizei- und Rettungskräften stärken
Dienstagvormittag, eine Gruppe Uniformierter drängelt sich um einen Tisch, an dem Kaffee ausgeschenkt wird. Aus der ganzen Bundesrepublik sind Polizeibeamte nach Berlin gereist, um im Innenministerium den Auftakt einer Kampagne beizuwohnen. »Heimatminister« Horst Seehofer will das »Ansehen von Polizei- und Rettungskräften« stärken – und einfach mal Danke sagen.
Die Moderation der Veranstaltung übernimmt kein geringerer als der TV-Unterhalter Thomas Gottschalk. Vorneweg stellt er klar: »Wenn ich die politische Bühne betrete, hat das was zu bedeuten.« Es sei seine »Bürgerpflicht«, die Kampagne zu unterstützen, sagt er. Selbstverständlich mache er die Moderation gratis. Denn auch er sei besorgt über den fehlenden Respekt gegenüber Einsatzkräften. Von Law-and-Order distanziert er sich aber vorsorglich. Schließlich gehöre er jener Generation an, der man beigebracht hat, sich von Autoritäten nichts sagen zu lassen und sich nicht vor Uniformen zu verneigen. Der antiautoritäre Geist des Moderators verpufft jedoch in dem Moment, als ihm Seehofer eine Polizeimütze auf den blonden Lockenkopf setzt. Gottschalk salutiert brav.
Damit man sieht, wie die Realität wirklich ist, hat das Innenministerium ein Imagevideo produzieren lassen. Die Bilder sind dramatisch: Ein Unfall auf der Autobahn, prügelnde Hooligans am Bahnsteig, ein brennendes Haus. Gedankenverloren schaut eine Frau bei Nacht in den Regen. »Meine Mutter wollte immer, dass ich einen Bürojob erlerne«, sagt eine Stimme aus dem Off. Im Hintergrund läuft theatralische Musik, die ein bisschen an Walgesänge erinnert. Die Message wird klar: Hinter den Uniformen stecken Menschen. Zum Beispiel der Polizist Maurice, der aussieht wie ein wandelndes Agenturfoto. Oder der Feuerwehrmann Ali, die Sanitäterin Michèle und der THW-Helfer Karl. Alles Helden aus dem Film. Später wird Seehofer sagen: »Der Spot geht unter die Haut.«
Bereits im vergangenen Jahr gab das Ministerium des Inneren, für Bau und Heimat, wie sich die Behörde offiziell nennt, 1,5 Millionen Euro für eine Reklamekampagne aus. In diesem Jahr wurde noch einmal aufgestockt, drei Millionen Euro wurden investiert. Federführend ist das Heimatreferat des Ministeriums. In einem Schreiben heißt es: »Deutschland ist Heimat für über 83 Millionen Menschen. Heimat ist hierbei nicht nur ein Ort, sondern auch ein Gefühl, das durch erlebte Sicherheit und Stabilität entsteht. Ein wichtiger Garant für dieses Gefühl sind die Polizei- und Rettungskräfte dieses Landes.« Mit TV-Spots, Werbung im Internet und Plakaten in über 200 Städten wird in den nächsten Wochen »für ein sicheres Deutschland« geworben.
Dann hat der Chef des Hauses endlich seinen Auftritt. »80 000 Straftaten gegen Einsatzkräfte sind 80 000 zu viel«, sagt Seehofer. Applaus. Es folgen einige schlechte Witze. Die Rede ist kurz und es wird klar: Heute soll es nicht um ihn gehen, sondern um die Menschen, die sich jeden Tag für uns aufopfern.
Und die kriegen ihren Auftritt. Die Stars aus dem Imagefilm – Maurice, Ali, Michèle und Karl – betreten die Bühne. Das Gespräch wird selbstverständlich von Thomas Gottschalk moderiert, der wie gewohnt seine Gäste angrapscht. Mit viel Pathos erzählen die versammelten Einsatzkräfte, dass heutzutage niemand mehr Respekt vor ihnen habe. Dass die Empathie im Eimer sei. Und dass die Darstellung ihrer Arbeit in Filmen und Serien völlig verzerrt wiedergegeben werde. Gut, dass es nun den Film des Innenministeriums gibt, wirft Gottschalk ein.
Nach nicht einmal 45 Minuten kommt die Veranstaltung zum Ende. Gottschalk nutzt den Schluss, um noch einige Witze über die anwesenden Pressevertreter zu machen. Das kommt gut an. Dann geht es in den Hof des Innenministeriums, wo Einsatzwagen der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks (THW) sowie eine Reiterstaffel der Polizei warten. Seehofer setzt sein Politikerlächeln auf und quatscht mit den Versammelten wie mit alten Freunden. An seinem Anzug trägt der Innenminister eine Anstecknadel in Form eines Blaulichts – das Symbol der neuen Kampagne. Damit könne nun jeder Deutsche seinen Respekt für Polizei und Retter zeigen.
Ob er sich eine ähnliche Kampagne für die Opfer von Polizeigewalt vorstellen kann? »Dafür sehe ich keine Notwendigkeit«, sagt Seehofer dem »nd«. Und warum? »Weil es kein Phänomen unserer deutschen Gesellschaft oder der Polizei ist.« Zwar gebe es auch mal Fehltritte und Falschentwicklungen, aber das sei kein Phänomen, das typisch für die deutsche Polizei sei. Dass das viele Leute anders sehen, weiß auch der Innenminister. »Deshalb werben wir für Sympathie und Respekt gegenüber der Polizei, die einen sehr schwierigen Beruf ausübt. Wir müssen die Kirche im Dorf lassen und die schützen, die uns schützen.« Dann muss der Innenminister weiter, um ein Foto mit einer Gruppe Polizisten zu machen.
An einem Holztisch lässt eine Gruppe in schicken Anzügen die Veranstaltung Revue passieren. Im Großen und Ganzen sei der Kampagnenstart ein Erfolg gewesen. Man habe Bedenken gehabt, ob Gottschalk wirklich die richtige Wahl für die Moderation sei. »Ich finde, er hat es gut gemacht«, meint eine Frau, während sie eine Bockwurst aus ihrer Erbsensuppe fischt. »Aber den Vergleich der Bundespolizei mit dem THW-Chor hätte er sich sparen können«, wirft ihr Sitznachbar ein. Zustimmendes Kopfnicken. »Beim nächsten Mal kann man ja Sky du Mont fragen – der hat auch so eine tolle Stimme.«
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