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Für genitale Selbstbestimmung
Erstmals setzen sich Frauen- und LGBTIQ*-Organisationen gemeinsam gegen Genitalverstümmelung ein
Anlässlich des weltweiten Tages der genitalen Selbstbestimmung hat am Dienstag eine Kampagne gegen Genitalverstümmelung begonnen - erstmals von Frauen- und LGBTIQ*-Organisationen gemeinsam. Die Organisator*innen fordern »den umfassenden Schutz aller Kinder vor Genitalverstümmelung - unabhängig von Genital und Geschlecht«.
Nach wie vor ist es auch in Deutschland eine verbreitete Praxis, Kinder medizinisch nicht notwendigen Operationen zu unterziehen, wenn ihre Genitalien nicht eindeutig der gesellschaftlichen Norm von männlich oder weiblich entsprechen. Betroffene erfahren davon mitunter erst im Erwachsenenalter. Die Folgen könnten Sterilität und Verlust der Libido sein. Vor allem besteht die Gefahr, dem Kind operativ ein Genital zuzuweisen, das gar nicht seinem Geschlechtsbewusstsein entspricht - beispielsweise wenn die Genitalien eines intersexuellen Kindes einem weiblichen Idealbild angeglichen werden, seine Geschlechtsidentität sich aber als männlich herausstellt.
Zwischen 2012 und 2014 wurden laut einer Studie der Berliner Humboldt-Universität durchschnittlich 91 solcher »feminisierender« Operationen durchgeführt. »Die Gesellschaft muss sich an die Natürlichkeit verschiedener Körper anpassen - und nicht die Körper an die Gesellschaft«, so Katharina Vater, Referentin für Intergeschlechtlichkeit und trans* bei dem Projekt 100% Mensch, das sich an der Kampagne beteiligt.
Des weiteren setzt sich die Kampagne gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ein. Diese Praxis beinhaltet unter anderem die teilweise oder komplette Entfernung der Klitoris oder der Schamlippen. Sie kann ebenfalls langfristige gesundheitliche Probleme, Traumata und den Verlust des Lustempfindens zur Folge haben. Weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation über 200 Millionen Frauen und Mädchen betroffen.
»Es wird oft von FGM gesprochen, als wäre das in Deutschland kein Problem, als gäbe es das nur in Afrika«, kritisiert Charlotte Weil von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes e.V., die die Kampgane mitträgt. Tatsächlich sind in Deutschland laut Bundesfamilienministerium knapp 50.000 Frauen betroffen, zwischen 1500 und 5700 Mädchen seien gefährdet. Fatou Diatta, Betroffene und Aktivistin gegen FGM sagt, die Praxis habe nichts mit Kultur oder Religion zu tun, sondern sei eine soziale Norm - ähnlich wie beispielsweise das schmerzhafte Entfernen von Körperbehaarung mit Wachs.
Seyran Ateş, Rechtsanwältin und liberale Moscheegründerin, bestätigt, es gäbe im Islam keine Grundlage für FGM. Anders sei das mit der Jungenbeschneidung, die sowohl im Judentum als auch im Islam zur religiösen Praxis gehört und die von der Kampagne gleichermaßen verurteilt wird. Inwiefern sich die Entfernung der Penis-Vorhaut negativ auswirken kann, ist umstritten. Gesetzlich ist sie in Deutschland erlaubt, sofern sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird - FGM hingegen ist seit 2013 in Deutschland verboten. Was die Beschneidung von Jungen angeht, müssten innerhalb der Religionsgemeinschaften Debatten geführt werden, so Ateş. Einige Familien würden aber nicht öffentlich darüber diskutieren, aus Angst vor antireligiösen Reaktionen aus der Gesellschaft.
Die Organisator*innen der Kampagne fordern neben Gesetzesänderungen und Aufklärungsarbeit auch ein Recht auf Asyl für Menschen, die von Genitalverstümmelung bedroht sind.
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