Starke Kinder

Der Dokumentar- und Animationsfilm »Kleine Germanen« zerstört das Klischee vom Hauptschulnazi

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn man sagt: Der Albtraum aller Eltern ist, wenn ihr Kind Nazi wird, gilt das natürlich nicht für Eltern, die selbst Nazis sind. Doch der inverse Albtraum quält den rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek und seine Frau, die rechtsextreme Publizistin Ellen Kositza, nicht die Spur: dass eins der sieben Kinder bei der Antifa landen könnte. »Nicht vorstellbar«, sagt Kubitschek und sitzt, wie den ganzen Film über, seelenruhig hinter seinem Kaffeepott: Das Wertgefüge der Familie sei schlicht zu fest, ja uneinnehmbar. Kositza, die mit Kubitschek und Familie hauptsächlich deshalb auf einem sachsen-anhaltischen Rittergut lebt, weil es in Ostdeutschland keine Fremden gibt, sekundiert: »Unsere Kinder sind das, was man in der Erziehungswissenschaft und in der Psychologie ›sicher gebunden‹ nennt«, und der Dokumentarfilm »Kleine Germanen« räumt mit dem Generalurteil auf, Nazi-Werden habe etwas mit kaputter Kindheit und ökonomisch-sozialer Depravation zu tun. Man wird finden dürfen, dass das nicht eben eine gute Nachricht ist, und sich an Tucholskys Panoptikum nationaler Bürgerlichkeit erinnern; einer jüngeren Umfrage zufolge, von welcher der Film noch nichts wissen kann, ist bald jeder vierte Deutsche der Ansicht, Israel sei ein Nazistaat, und das ist noch weniger als in den Leserbriefspalten der Qualitätspresse.

»Kleine Germanen« versammelt Menschen, die alle rechts sind oder wenigstens waren und von einer sicheren, vatergeprägten Kindheit erzählen, sogar schwärmen. Während die Mutter habe arbeiten müssen, erzählt ein Aussteiger, sei der Vater »immer da« gewesen und habe »keine Widerrede« geduldet. Und der junge Wiener Identitäre Martin Sellner erinnert sich augenscheinlich gern daran, wie er Anerkennung nur über Leistung habe erfahren dürfen: »Aufgeben tut man einen Brief«, sei ein väterliches Motto gewesen. Und weil Herrschaft, der man nicht auskommt, verinnerlicht und affirmiert werden muss, ist der Sohn heute ebenso »stolz auf das, was mein Vater macht«, wie auf das, was die Väter gemacht haben, die als verehrte »Vorfahren« Familie völkisch universalisiert und Hierarchie unentrinnbar gemacht haben. Auch bei Kubitschek und Kositza ist, wie bei Klaus Theweleit und seinen »Männerphantasien« abgeschrieben, das Feste und Aufrechte, das »Rückgrat« der pädagogische Maßstab: »Disziplin, Anstrengungsbereitschaft am Instrument, im Sport, in der Schule« (Kubitschek), »den Kelch zur Neige trinken, den Teller aufessen« (Kositza); und ein Forscher aus Wien weiß, warum die zwei nicht nur so aussehen wie brave Bürgersleut’: Kinder »hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder zu wollen, wird zwar immer mit Nazismus, mit Rechtsextremismus verbunden, aber es ist doch eine viel längere Tradition, die viel tiefer geht und viel weitere gesellschaftliche Kreise und politische Milieus über lange Zeit geprägt hat«. Wer aufmerksam durch die Welt geht, mag finden, dass etwa das wohlmeinend-bürgerliche Mantra vom »starken« Kind eine gewisse Verwandtschaft mit der Praxis »extremistischer Familienverbände« (Bernd Wagner, Aussteigerinitiative Exit) aufweist, ihre Kinder winters ohne Pulli in die Kita zu schicken, zwecks Abhärtung. Wachsen sie auf nationalsozialistischen Bauernhöfen auf, lernen sie zwischen Scholle und Zuchtvieh, sich als autarke, kommender Apokalypse erwehrende »Vertreter eines Artgedankens« (Wagner) zu verstehen. Später blendet der Film ein Wahlplakat der AfD ein: »Neue Deutsche? Machen wir selber«. Da braucht’s die NPD schon gar nicht mehr.

Der tumbe Klischee-Prügelnazi begegnet uns in »Kleine Germanen« lediglich in einer Spielhandlung, die im Motion-Capture-Verfahren, welches Real- zu Trickfiguren macht, die Erzählerin Elsa sich an ihre hart rechte, dabei »behütete« Sozialisation »in einer ganz normalen Familie« erinnern lässt: »Als Kind mussten wir immer stark sein.« Darüber könnte das beflissene Kinderstarkmach-Gewerbe ja mal nachdenken. Der geliebte Nazi-Opa (»Ein deutscher Soldat kennt keinen Schmerz«) liest Elsa aus Nazi-Büchern vor, als Pubertierende tätowiert sie sich »88« auf den Unterarm, im Alter von 18 Jahren gibt sie sich einem gewaltbereiten Arier zur Frau und traktiert die gemeinsamen Kinder ihrerseits mit Odin und jüdischen Schlangen: »Die anderen sind immer die Bösen. Das lernen und verinnerlichen wir. Es ist das erste Gefühl. Das oberste Gebot.« Die Verfremdung macht den Holzschnitt der animierten Geschichte, die laut Vorspann auf Tatsachen beruht, als Abstraktion akzeptabel, sodass sich nicht vor Edutainment auf Fernsehniveau fürchten muss, wer die Erkenntnis aktualisiert finden möchte, dass im Leitbild heiliger »Famillje« (Helmut Kohl), zumal der unbeirrt patriarchalen, viel mehr Reaktion steckt, als etwa »Nido«-Kundschaft je kapieren wird: »Partikularisierung, Parzellierung, Isolierung des Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft und ihr Fundus an zwischenmenschlicher Feindseligkeit reproduzieren sich zu prägnant in der sozialen Organisation, in der zugleich zu viel Nähe herrscht«, schrieb Peter Brückner vor bald einem Halbjahrhundert in seiner »Sozialpsychologie des Kapitalismus«, den vom Faschismus ja nicht mehr trennt als die Elite vom Mob. Und vielleicht sind Muttivatitochtersohn noch kein extremistischer Familienverband; aber die Uniformen aus widerstandsfähiger Kunstfaser, die vom harten, aber guten Leben unterm strengen Gesetz der Natur künden, die tragen sie schon.

»Kleine Germanen«, Deutschland/Österreich 2018. Dokumentarfilm. Regie: Mohammad Farokhmanesh, Andreas von Schwennig. 89 Min.

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