Wie ich zum Märker wurde

Er war Sachse und wollte es bleiben, doch nun ist alles anders

  • & Dr. Werner Schieritz
  • Lesedauer: 4 Min.

Ganz sicher bin ich mir nicht, ob ich als vollwertiger Märker zähle. Es spricht manches dafür. Gut zwei Drittel meines Lebens fanden im Brandenburgischen statt. Dort traf ich meine Frau. Unsere Kinder und Enkel sind hier geboren und wurden inzwischen in Brandenburg erwachsen. Trotzdem bleiben Zweifel, denn meine Altvorderen waren allesamt bodenständiges sächsisches Urgestein. Mir hört man heute noch an, wer mir wo sprechen beibog. Lesen, Rechnen und Schreiben erlernte ich im gleichen Klassenzimmer, in dem schon mein Vater die Schulbank drückte. Allerdings saß bei mir ein Neulehrer am Pult, mit dem auch ein anderer Geist ins Schulhaus einzog. Jetzt galt: gleiche Bildungschancen auch für mittellose Dorfkinder wie mich. Und das wurde auch gelebt.

Mir machte Lernen wirklich Spaß, weshalb man mich zum Versuchskarnickel für die Hörsaaltauglichkeit meinesgleichen auserkor. Die Begeisterung meiner Sippe für die Entscheidung meiner Lehrer hielt sich in überschaubaren Grenzen. Bislang hatten für einen Schieritz acht Jahre Volksschule noch immer fürs Leben genügt. Warum sollte das plötzlich anders sein? Letztlich war das entscheidende Argument: kein Fortschritt ohne neue Wege! Bremser wollte man auch nicht sein. Zur Beruhigung der Gemüter trug wesentlich bei, dass ich mich als Bengel vom Dorf für die Studienrichtung Tiermedizin entschied - der Junge wird ja irgendwann zurückkommen und immerhin galten Tierärzte auf dem Lande als geachtete Respektpersonen. Nicht unangenehm, die Aussicht, solche Anerkennung könnte auch einmal der eigenen Familie gelten. Aber soweit war es noch lange nicht.

Als Studienort kam für mich nur Berlin in Frage. Seit einem Deutschlandtreffen faszinierte mich das quirlige Hauptstadtleben. Was ich bei meiner Studienbewerbung völlig ausblendete, war der Modus der späteren Absolventenlenkung. In Berlin ausgebildete Tierärzte waren für die Nordbezirke des Landes vorgesehen, deren Bedarf unersättlich schien. Wer Sachsen treu bleiben wollte, wie ich, hätte sich besser in Leipzig einschreiben lassen sollen. Diese Messen waren mit der Berliner Studienplatzzusage, die ohnehin einem mittleren Lottogewinn gleichkam, gesungen. So etwas riskierte man nicht.

Zum Ende des Studiums bewarb ich mich um einen der wenigen südlich von Berlin angesiedelten Arbeitsplätze - ich hatte Glück und bekam eine Stelle am Cottbuser Veterinäruntersuchungs- und Tiergesundheitsamt angeboten. Es schien zwar anfangs nicht mein Traumjob zu sein, aber die Nähe zum Sachsenland, in das ich eh irgendwann »abwandern« würde, versöhnte.

Es sollte ganz anders kommen! Ich begegnete einer »sächsischen Leidensgefährtin«, die ebenfalls wider eigenem Willen ins Niederlausitzer Braunkohlerevier »delegiert« worden war, um die dort ständig anwachsende Kinderschar zu unterrichten. Auch sie war nicht gekommen, um unbedingt zu bleiben. Das verband irgendwie, förderte aber auch gemeinsames Nachdenken über die Zukunft. Dabei mussten wir einander eingestehen: Die Region buhlte förmlich um junge Leute mit Arbeits- und Lebensbedingungen, von denen man anderswo nur träumen konnte. Letztlich überzeugte uns das, als Familie in der Niederlausitz Wurzeln zu schlagen. Das Ganze trug sich vor mehr als 55 Jahren zu. Inzwischen ist uns die Mark Brandenburg mit ihren Eigenheiten, ihrer Geschichte und Kultur Heimat geworden. Meine Familie hat hier mittlerweile Häuser gebaut und Bäume gepflanzt.

So weit, so gut! Wie aber steht es um mein »innerstes« Märker-Sein, Ticke ich ähnlich dem legendären Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland? Für mich ist er ein »Urmärker«. Hierzu fällt mir ganz spontan ein Erlebnis aus jüngster Vergangenheit ein, dass mich über mich selbst leicht erstaunen ließ: Ich war glücklicher Ticketbesitzer einer beliebten Militär- und Blasmusikparade in der ausverkauften Cottbuser Stadthalle. Ein beteiligtes ukrainisches Polizeimusikkorps war es, das sehr genau wusste, wie man hiesiges Publikum emotional »aufpeitscht«. Es intonierte die »Märkische Heide« von Gustav Büchsenschütz. Augenblicklich erhoben sich über 1000 Südbrandenburger von ihren Plätzen und sangen inbrünstig, lautstark und recht textsicher die heimliche Brandenburghymne mit. Instinktiv stimmte ich ein - eine wahre Gänsehautsituation für mich! Hier war ich plötzlich ganz Märker und durfte es auch ungeniert sein.

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