Irgendwie Mittelschicht

Leo Fischer über den diskreten Reichtum von Leuten, die Enteignungen »nicht hilfreich« finden

Es gibt unvorstellbar wohlhabende Menschen in Deutschland. Sie wissen nicht, dass sie wohlhabend sind. Sie gehen ja immerhin zur Arbeit, auch wenn sie, hörten sie eine Weile damit auf, ihren Lebensstil nicht einschränken müssten. Man hat schon ein oder zwei Erbschaften angetreten, die dritte und vierte sind bereits so klandestin wie selbstverständlich in den Lebensplan einkalkuliert. Natürlich, winken sie ab, nichts Großartiges, ein Häuschen in der Pampa, baufällig, eher eine Last; besser, man wird es los, nicht wahr.

Das soziale Netzwerk ist engmaschig und weitläufig, man hat Freunde in fast allen Branchen. Drei Urlaube im Jahr sind selbstverständlich, der vierte findet »zur Belohnung« statt. Der Lebensstil ist sonst unaufdringlich, außerhalb der ohnehin schon aus der Mode kommenden Villenviertel lebt man im selben Goretex- und Funktionskleidungseinerlei wie alle anderen - sozialer Status wird heute anders kommuniziert. Sich selbst rechnet man zur »Mittelschicht«, der in Deutschland von Friedrich Merz bis zur Penny-Kassiererin schlichtweg alle angehören - man kennt seit Müntefering keine Klassen mehr. Vage fühlt man sich links, findet manches aber übertrieben, spendet gelegentlich an irgendwas und wählt dann die gelbe oder die grüne FDP.

Wenn ein Milieu deswegen besonders empfindlich auf nebulöse Ankündigungen von Enteignung reagieren musste, dann dieses. Man ist doch gerade aus dem Gröbsten raus, schaut euch mal die Wirtschaftszahlen an, jetzt ginge es doch bald vorwärts - da sind Enteignungen »nicht hilfreich«. Und ja, natürlich bin ich auch gegen Ungerechtigkeit, doch das Leben des armen Schluckers, der für ein Butterbrot Prospekte verteilt, die ungelesen in den Müll wandern, für den aber trotzdem drei Aufpasser da sind, zwei von der Firma und einer vom Amt, ist mir natürlich reichlich fern. Er hätte sich ja mal qualifizieren müssen, wir haben schließlich auch vorgesorgt, wir haben Omas Kleinhäuschen zum »Bed & Breakfast« umgebaut.

Dass man nach hochrichterlichem Urteil dem Prospekteverteiler jetzt noch das kostenlose Mittagessen vom Draufstocker-Hartz-IV abzieht, ist doof, aber nicht doof genug, um irgendwas dagegen zu tun. Ich kriege ja auch Ärger, wenn ich meine Geburtstagspartys nicht geschickt genug versteuere!

Nach alten Lehren produzieren die wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, immer auch die Gedanken, die diese Verhältnisse rechtfertigen. Deswegen war die Empörung einer Generation von Erben und Gewinnlern des Neoliberalismus übers Enteignen auch so groß: nicht so sehr, weil sie ihren Besitz in Gefahr wähnten, sondern weil der gemütliche Konsens der Gedanken, die man sich von sich selbst macht, unangenehm aufgewirbelt wurde. Unangenehm die Erinnerung, dass im SPD-Grundsatzprogramm immer so etwas wie »demokratischer Sozialismus« steht; unangenehm, dass in Gewerkschaftssatzungen noch die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien gefordert wird.

Herrje, wie peinlich. Das haben wir doch gar nicht mehr nötig. Das hat nicht funktioniert! Seht euch doch das Elend im Osten an! Wie rational eine Wirtschaft ist, in welcher Gemeinden ganze Stadtviertel an Briefkastenfirmen in der Südsee überschreiben, weil sie mit der Grundsteuer die Stadtbücherei noch drei Jahre länger laufen lassen können, beantworten sie nicht.

Dass SPD und LINKE mit Enteignung natürlich nur meinen, den Staatsbesitz, den sie damals unter Wert verjubelten, jetzt wieder mit Verlust zurückzukaufen, ist das eine; dass es ihnen, aktuellen Umfragen zufolge, nicht mal was genutzt hat, das andere. Denn in diesem fürchterlichen Land halten sich die Reichen für arm, und die Armen glauben immer noch, sie könnten irgendwann reich werden.

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