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Pflicht für Lehrer zur Ersten Hilfe

Urteil des BGH nach einem tragischen Unglücksfall im Sportunterricht

  • Lesedauer: 5 Min.

Zu diesem Urteil kam der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am 4. April 2019 (Az. III ZR 35/18). Verunglückte Schüler müssen hierfür allerdings beweisen, dass eine unzureichende Hilfe die Ursache gesundheitlicher Folgeschäden ist. Mit seiner Entscheidung hob der BGH das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zu Erster Hilfe auf. Die höchsten deutschen Zivilrichter eröffnen einem jungen Mann damit eine Chance auf Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Acht Minuten Bewusstlosigkeit mit schweren Folgen

Bessere Ausbildung gefordert

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes zur Erste-Hilfe-Ausbildung von Sportlehrern fordern Notfallmediziner zügige Verbesserungen in der Praxis. Der Sprecher des »Arbeitskreises Notfallmedizin« in der »Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin« (DGAI), Prof. Dr. med. Jan-Thorsten Gräsner, rät, dass Sportlehrer mindestens alle zwei Jahre in Herz-Lungen-Wiederbelebung und in Erster Hilfe geschult werden sollten. Damit seien sie für eventuelle Notfälle und Unfälle im Unterricht gut vorbereitet.

»Es kann nicht sein, dass Schüler heutzutage Herzdruckmassage lernen, die Lehrer aber außen vor bleiben«, sagt Gräsner. Die Lehrer hätten nicht nur die Pflicht, kompetent zu helfen. Sie hätten gleichzeitig auch eine Vorbildfunktion. Hinzu komme: Der Sportunterricht berge viele Gefahren für Verletzungen und Notfallsituationen.

Gräsner schlägt vor, das Training für die Lehrkräfte mit der Kampagne »Schüler retten leben« der DGAI zu verbinden. Im Rahmen dieses Projektes werden immer mehr Schüler deutschlandweit in Herz-Lungen-Wiederbelebung ausgebildet. Vorreiter sind hier Bundesländer wie Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern, wo die lebensrettenden Techniken regelmäßig in Sport und Biologie vermittelt werden.

Ganz einfach wäre, nach Ansicht von Jan-Thorsten Gräsner, im Zuge der Kampagne mehr Lehrer auszubilden, die die Fähigkeiten schließlich an die Schüler weitergeben könnten. ots/nd

Was war passiert? Ein damals 18-jähriger Schüler aus Wiesbaden kollabiert im Sportunterricht und erleidet irreversible Hirnschäden durch Sauerstoffmangel, die genaue Ursache blieb aber unklar. Der Junge ist heute zu 100 Prozent schwerbehindert und muss rund um die Uhr von seiner Familie betreut werden.

Hätte das verhindert werden können? Die Anwälte der Klägerseite argumentierten, die Lehrerin habe nicht auf die Rettungskräfte warten dürfen, sondern hätte sofort Erste Hilfe leisten müssen. Auch der BGH betont die Pflicht eines Lehrers zur rechtzeitigen Ersten Hilfe.

Sören Z. stand kurz vor dem Abitur und wollte Biochemie studieren. Bis zu jenem Nachmittag am 13. Januar 2013. Fünf Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings im Sportunterricht hört der 18-Jährige mit dem Laufen auf. Der Gymnasiast hat Kopfschmerzen. Er sackt an der Wand zusammen, ist nicht mehr ansprechbar. Die Lehrerin alarmiert den Notarzt. Doch bis der kommt, vergeht wertvolle Zeit. Acht Minuten Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation, heißt es später im Klinikbericht. Der Schüler erleidet schwerste Hirnschäden durch Sauerstoffmangel.

»Es ist eine tragische Sache«, stellte der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann einleitend in der mündliche BGH-Verhandlung fest. Auf der einen Seite sitzen ihm Vertreter des hessischen Kultusministeriums gegenüber, auf der anderen Seite der Vater des Jungen. Er ringt sichtlich mit Fassung. »Das hätte so nicht sein müssen, wenn entsprechend Hilfe geleistet worden wäre. Keiner hat ihm geholfen«, sagt der Vater.

Sein heute 24-jähriger Sohn hat das Land Hessen wegen unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen verklagt. Er fordert mindestens 500 000 Euro Schmerzensgeld und 100 000 Euro für die Erstattung materieller Schäden sowie eine monatliche Mehrbedarfsrente von etwa 3000 Euro und die Feststellung, dass Hessen auch für künftige Kosten aufkommt.

Klage in den Vorinstanzen war erfolglos geblieben

Vor dem Landgericht Wiesbaden und dem Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) war die Klage erfolglos geblieben. Es sei nicht sicher, ob sich mögliche Fehler der Lehrer bei der Ersten Hilfe kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt hätten. Ein Sachverständiger wurde nicht hinzugezogen.

Der BGH rügte nun, dass die Vorinstanzen nicht geklärt haben, wann überhaupt der Herzstillstand eingetreten ist. Hierfür sei zwar der Schüler beweispflichtig, einen entsprechenden Antrag auf ein Sachverständigengutachten habe das OLG daher aber nicht ablehnen dürfen.

BGH zum gesetzlichen Haftungsprivileg für Nothelfer

Weiter entschied der BGH, dass zumindest Sportlehrer sich nicht auf das gesetzliche Haftungsprivileg für Nothelfer berufen können. Dies solle Bürger schützen, die spontane Hilfe leisten. Sportlehrer müssten mit Unglücken während ihres Unterrichts rechnen. Daher müssten sie auch über eine »aktuelle Ausbildung« in Erster Hilfe verfügen.

Wegen des Haftungsprivilegs müssen spontane Nothelfer nur bei grober Fahrlässigkeit haften. Dies soll verhindern, dass Bürger aus Angst vor Fehlern gar keine Hilfe leisten. Sportlehrer seien aber keine Unbeteiligte, ihr Unterricht sei immer mit gewissen Gefahren verbunden, betonte der BGH. Die Schüler seien aber zur Teilnahme am Sportunterricht verpflichtet. Auch deshalb wäre es »nicht angemessen«, wenn eine Haftung für Amtspflichtverletzungen »nur bei grober Fahrlässigkeit und damit nur in Ausnahmefällen einträte«, befand der BGH.

Das OLG muss in neuer Verhandlung mit Hilfe eines Gutachters klären, ob eine Amtspflichtverletzung ursächlich für die Behinderung war. Nur wenn ein Zusammenhang zwischen unterlassener Reanimation und der Behinderung bewiesen wird, hat Sören Z. Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld durch das Land Hessen.

Dass nicht alles gut lief, wird bei der BGH-Verhandlung deutlich. Von einer »Verkettung unglücklicher Umstände« spricht die Anwältin des hessischen Kultusministeriums. Grobe Fahrlässigkeit weist sie zurück - und auch, dass acht Minuten nichts passiert sei. Lehrer könnten nicht damit rechnen, dass ein Schüler aus heiterem Himmel plötzlich zusammenbricht.

Die Lehrerin und ein ebenfalls anwesender Kollege waren nicht untätig: Sören Z. wird nach Anweisung der Rettungsleitstelle in die stabile Seitenlage gebracht. Der Puls wird gefühlt. Doch ob der Schüler noch atmet, wird nicht kontrolliert. Es gibt weder eine Mund-zu-Mund-Beatmung noch eine Herzdruckmassage. Obwohl der Schüler nach Zeugenaussagen schon blau gewesen sei, hätten zwei Lehrer acht Minuten lang »nichts« zur Wiederbelebung getan, so der Kläger-Anwalt vor dem BGH.

Der Vater des Jungen, selbst ein langjähriger Betriebssanitäter, versteht nicht, wie das passieren konnte. »Man kann nichts falsch machen bei einer Wiederbelebung.« Das betont auch der Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes, Peter Sefrin. Aus Furcht werde in vielen Fällen nichts getan, bis der Notarzt kommt. Bis dahin würden Chancen möglicherweise vertan. Dabei, so sagt der Mediziner, sei es das einzig Falsche, eben nichts zu tun. Agenturen/nd

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