- Kultur
- Wiglaf Droste
Einer, der es keinem recht machte
Würden Sie bitte alle, ja, unbedingt und ausnahmslos alle, 24 Stunden am Tag, rund um die Uhr, ohne Pause und lebenslang, ein Schild mit dieser Aufschrift um Ihren Hals tragen: ›Das Elend hat viele Gesichter - wie gefällt Ihnen meines?‹ Das stünde Ihnen allen nämlich sehr gut zu Gesicht.« Dieser ausgezeichnete Ratschlag des Dichters, Kolumnisten, Vortragskünstlers und »Gelegenheitssängers« Wiglaf Droste ist nicht die einzige Kurzprosaskizze, mit der er uns einen kleinen Hinweis darauf gegeben hat, wie es um unsere Welt und deren Insassen, wie Droste sie wohl bezeichnet hätte, bestellt ist: nicht gut.
Man ist, wegen der Originalität, der Schärfe, der Komik, der sprachlichen Präzision und Unversöhnlichkeit vieler seiner Texte, die man als Polemiken zu bezeichnen pflegt, übereingekommen, den Peter-Hacks-Verehrer, Sprachliebhaber und Tausendsassa Droste einen Satiriker zu nennen, dabei war er tatsächlich weit mehr als nur das. Er war einer, der dem allgemeinen Betrieb, der von den Betriebsnudeln (auch so ein Droste-Wort) täglich ebenso besinnungslos wie sinnfrei fortgeführt wird, feindlich gegenüberstand. Kurz: Der Mann war kein Mitmacher, kein Mitlaberer, kein Mitglied im weltumspannenden Klub der Einverstandenen. Er hatte ein hierzulande, auch unter Linken - zu welchen Droste zweifelsfrei zu zählen war - nahezu ausgestorbenes Talent: es keinem recht zu machen.
Doch Querulanten, die gescheit sind, die sich nicht mit den Christian Lindners und Martin Walsers dieser Welt gemein machen wollen und noch dazu unfallfreie Sätze sprechen und schreiben können, hatten es in Deutschland schon immer schwer. Umgehend gilt hier als Miesepeter und »Nörgler«, wer nicht freudig in der Verblödungsindustrie mittut. Was die nationalistischen Dummbeutel angeht, hatte der im westfälischen Herford geborene Droste stets eine unmissverständliche Haltung: »Wer sonst gar nichts hat, der hat doch ein Vaterland. Patriotismus ist die Religion der ganz armen Schweine!«
Aber auch über die Verkniffenheit und Humorlosigkeit des Personals der sozialdemokratischen PDS, der Vorgängerin der Linkspartei, machte er sich einst lustig, indem er seiner Leserschaft die Wahlempfehlung gab, sie möge doch bitte die »PDS wählen, weil Deutschland Strafe verdient hat«.
Droste war 1988 für kurze Zeit »taz«-Redakteur und zwischen 1989 und 1991 Redakteur des Satiremagazins »Titanic«. 1991 gründete er gemeinsam mit dem bereits 2007 verstorbenen Autor und Musiker Michael Stein das »Benno-Ohnesorg-Theater«, das zunächst im Berliner »Eiszeit«-Kino stattfand, später monatlich in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort trugen er selbst und wechselnde Gäste (vom Liedermacher Funny van Dannen bis zum unvergleichlichen Harry Rowohlt) frisch verfasste Glossen und Polemiken vor. Nicht selten wurde auch gesungen. Bis 2006 schrieb Droste regelmäßig Beiträge für die »Wahrheit«, die Satireseite der »taz«.
Seit 1994 arbeitete er ständig für die Tageszeitung »junge Welt«, seit 2011 hatte er dort eine tägliche Kolumne im Feuilleton. Anfang der 90er Jahre war Droste auch eine Zeitlang fürs »nd« tätig, für das er im Wechsel mit dem Satiriker Mathias Wedel die Kolumne »Schlachtenbummler« verfasste. 2018 bekam er den Satirepreis Göttinger Elch für sein Lebenswerk verliehen.
Wiglaf Droste, der den Genüssen zugetan war, den literarischen ebenso wie den leiblichen, und der lange exzessiv versuchte, dem Leben ein Maximum an Vergnügen abzuringen, ist am Mittwoch im Alter von 57 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit in Pottenstein (Franken) verstorben.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!