Orange am frühen Morgen

Kletteraktion in Solidarität mit Seenotrettung auf der Berliner Spree

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 3 Min.

In einer Kletteraktion haben Aktivist*innen in Berlin am Freitag die 30 Meter hohe Skulptur »Molecule Man« auf der Spree in Solidarität mit der Seenotrettung auf dem Mittelmeer mit einer orangenen Rettungsweste bekleidet. Parallel bekundeten die »Anarche«, ein kollektiv betriebenes Schiff, und Aktivist*innen auf der angrenzenden Elsenbrücke am Treptower Park ihre Solidarität mit Transparenten. Sie prangerten dabei die tödliche Migrationspolitik der Europäischen Union an. Auf der Elsenbrücke war zu lesen: »Build bridges, not walls«, die »Anarche« solidarisierte sich mit dem Seenotrettungsschiff Iuventa.

In den frühen Morgenstunden war an der Elsenbrücke bei knapp zehn Grad noch alles ruhig. Wenige Passant*innen huschten zur nahen S-Bahn. Nur wer bei dem dichten Nebel etwas genauer hinsah, erblickte rund ein halbes Dutzend Kletterer*innen hoch oben auf der Skulptur. Der »Molecule Man« steht in der Spree beim Schnittpunkt der drei Ortsteile Kreuzberg, Alt-Treptow und Friedrichshain und ist von weitem zu erkennen.

Mit einem Schlauchboot sind die Kletterer*innen zur Skulptur gefahren. Anne* ist eine von ihnen. Sie fasst ihre Motivation für die Aktion so zusammen: »In Europa gehen die Menschenrechte im Mittelmeer unter. Solange die EU weiter wegschaut, halten wir zivilen Ungehorsam für die einzige Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erregen. Erst recht jetzt, kurz vor der Europawahl.«

Während von der Skulptur die Rettungsweste von oben abgerollt und befestigt wird, sucht Maura ihren Kaffee. Sie ist Teil der Seebrücke-Bewegung, die die Mitgliedsstaaten der EU dazu aufruft, dem Sterben auf dem Mittelmeer endlich ein Ende zu bereiten und nicht weiter wegzuschauen. »Das Ganze war schon eine Nacht- und Nebelaktion«, lacht Maura. Nebel gibt es tatsächlich, er verzieht sich nach und nach und gibt den Blick frei auf die große Skulptur mit orange leuchtender Rettungsweste. Die hinzugekommene Polizei – sowohl an Land als auch zu Wasser – steht tatenlos daneben.

Hintergrund der Aktion ist das andauernde Sterben auf dem Mittelmeer. In den letzten fünf Jahren starben dort mindestens 18.248 Menschen, alleine für 2019 liegt die offizielle Ziffer bisher bei 500. Jüngst sind bei einem Bootsunglück vor der tunesischen Küste rund 70 Menschen ertrunken. Während die EU ihre Abschottungspolitik an ihren Außengrenzen vorantreibt und eine solidarische Aufnahme von Geflüchteten blockiert, schließen europäische Staaten ihre Häfen für zivile Rettungsboote und ihre Crew-Mitglieder werden systematisch kriminalisiert.

Erst letzte Woche wurde das Rettungsschiff Mare Jonio der NGO Mediterranea auf Sizilien festgesetzt. Gegen die Crew der Organisation Jugend Rettet, die Iuventa10, wird derzeit in Italien ermittelt und ihren Mitgliedern drohen bis zu 20 Jahre im Gefängnis. Andere Rettungsschiffe wie die Iuventa, die Aita Mari, die Open Arms und die Lifeline werden weiterhin festgehalten.

Der Kapitän der Lifeline Claus-Peter-Reisch wurde zu einer Strafe von 10.000 Euro verurteilt. Der Vorwurf: Das Rettungsschiff sei fehlerhaft registriert gewesen. Am Samstag letzter Woche durfte die Sea-Watch 3 nach längerer Blockade durch die Niederlande den Hafen von Marseille verlassen und befindet sich als derzeit einziges Rettungsschiff wieder im Einsatz.

Gegen diese Politik richte sich die Aktion. »Wir fordern von der EU eine eigene Seenotrettungsmission, sichere Fluchtwege nach Europa und eine solidarische Verteilung der Geflüchteten unter den Mitgliedsstaaten«, sagt Seebrücken-Aktivistin Maura und ergänzt: »Jetzt kommt es darauf an, Druck zu machen. Kurz vor der Europawahl fordern wir dazu auf: Schaut nicht weg und beteiligt euch am 19. Mai an den deutschlandweiten Demonstrationen ›Ein Europa für Alle‹«.

* Name vom Autor geändert

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