Zwischen Aufstehen und Untergang

Vor 15 Jahren wurde die Partei der Europäischen Linken gegründet. Die damalige Aufbruchstimmung ist dem Kampf um Zusammenhalt und neue Strategien gewichen.

Die Europäische Linke hat schon bessere Zeiten erlebt. Zum Beispiel vor 15 Jahren. Im Mai 2004 hatten sich 26 linke und links-grüne Parteien in Rom zur Partei der Europäischen Linken (EL) zusammengeschlossen. »Die Aufbruchstimmung war fast mit den Händen zu greifen«, erklärt der heutige Europaabgeordnete und damalige Mitbegründer der EL, Helmut Scholz. »Schließlich hatte es seit Zusammenbruch des Staatssozialismus und nach Gründung der EU praktisch keine gemeinsam erstrittene parteipolitische Zusammenarbeit der Linkskräfte über Ländergrenzen hinweg gegeben.«

Dass viele Parteien eine neue Bevormundung fürchteten, die sie jahrzehntelang »durch Moskau« erfahren hatten, war neben ihrem Selbstfindungsprozess ein wesentlicher Grund für das Fremdeln untereinander. So vermied das Gründungsdokument Formulierungen, die auch nur entfernt an Zentralismus erinnern könnten, und betonte stattdessen Pluralität und »die Wahrung und Gewährleistung der Vielzahl von Positionen«.

Einig zumindest war man sich in der generellen Vision: »Unser Ziel ist die menschliche Emanzipation, die Befreiung von Männern und Frauen von allen Formen der Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung«, hatten sich die Vertreterinnen und Vertreter aus zwölf Staaten ins Pflichtenheft geschrieben. »Unsere Zielsetzung war klar«, sagt Scholz, »wir wollten eine gemeinsame europäische linke und moderne Partei schaffen, offen und inklusiv auch über die EU-Grenzen hinaus.« Und auch das war Neuland: Strukturen für die Zusammenarbeit mit Bewegungen, Gewerkschaften und eigenständigen thematischen Netzwerken wurde auf den Weg gebracht, die Einführung einer Einzelmitgliedschaft wurde als Projekt im Projekt ermöglicht. Scholz: »Die EL wollte mehr sein als nur Dachorganisation für nationale Linksparteien.«

Inzwischen ist die EL auf knapp drei Dutzend Parteien mit insgesamt über einer halben Million Mitglieder gewachsen, der anfängliche Brüsseler Sitz in einer Privatwohnung längst in ein ordentliches Büro verlegt, Gremien sind geschaffen und Entscheidungsstrukturen etabliert worden. Die EL sei heute »in einer anderen Phase«, antwortet Gregor Gysi, seit Dezember 2016 Präsident der Europäischen Linken, diplomatisch auf die Frage, was von der Aufbruchstimmung des Jahres 2004 geblieben sei. »Es zeigt sich, dass die Einheit der Linken und deren Stärkung nicht vom Himmel fallen.«

Tatsächlich hat die Heterogenität innerhalb der Europäischen Linken eher zu- als abgenommen. Neben den Vollmitgliedern und Beobachtern gibt es nun auch sogenannte Partnerparteien - eine feine Abstufung in der Bindung an die EL. Im Gegensatz beispielsweise zur bereits 1976 gegründeten konservativen Europäischen Volkspartei oder der seit 1992 bestehenden Sozialdemokratischen Partei Europas ist die Europäische Linke ein Anhäufung verschiedener Standpunkte zu vielen grundsätzlichen und konkreten Fragen europäischer Politik. Das Spektrum der Mitgliedschaft reicht dabei von Parteien, die die EU grundsätzlich ablehnen, über Kräfte, die zumindest die vertraglichen Grundlagen der Gemeinschaft radikal demokratisieren wollen, bis hin zu Gruppierungen, die auch mit Veränderungen in kleinen Schritten leben können. In einigen Staaten, wie in Spanien mit der Kommunistischen Partei, der Vereinigten Linken sowie der Vereinigten Alternativen Linken, finden sich gleich Vertreter für alle diese Positionen. Gysi glaubt trotzdem, dass die verschiedenen Flügel und Strömungen unter einen Hut zu bringen sind: »Unterm Strich verfolgen wir ja alle die gleichen Ziele: nämlich die Verbesserung der Lebenssituation der Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner und der Jugend. Und die EU ist, ob wir das wollen oder nicht, ein wichtiges Feld der Auseinandersetzung.«

Zumindest hat es Gysi geschafft, das Bündnis zusammenzuhalten. Im vergangenen Jahr durchlebte die EL ihre vermutlich tiefste Krise - ausgelöst von der französischen Linkspartei. Anfang 2018 hatte die Parti de Gauche (PG) gefordert, die griechische SYRIZA, einst Flaggschiff der EL, aus der Europapartei auszuschließen. Der von SYRIZA gestellte Ministerpräsident Alexis Tsipras treibe »seine Austeritätspolitik« voran und bediene die Interessen von EU und Internationalem Währungsfonds. »Die Europäische Linkspartei kann in ihren Reihen nicht gleichzeitig Befürworter und Gegner eines solchen Europas organisieren«, ließ der PG-Vorstand verlauten. Allerdings erlebte die Parti de Gauche mit ihrer Attacke gegen SYRIZA eine Schlappe: Im EL-Rat der Vorsitzenden fiel der Ausschlussantrag gegen SYRIZA durch. Dafür allerdings verließ die Parti de Gauche im Frühjahr 2018 die EL. Auf Abstand ging auch Jean-Luc Mélencons Linkspartei La France Insoumise, die bei den französischem Präsidentschaftswahlen 2017 immerhin 19,58 Prozent eingefahren hatte.

Das wirft ein Licht auf ein generelles Problem: Auch den EL-Parteien ist das nationale Hemd mitunter näher als die europäische Hose. Wahlkämpfe werden national geführt, mit den jeweiligen nationalen Themen. Cornelia Hildebrandt, die sich in der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit der Entwicklung von linken Parteien und sozialen Bewegungen in Europa beschäftigt, sieht das Problem in der nicht abgeschlossenen und bzw. verschleppten Diskussion in der EL und ihren Mitgliedsparteien über das Wie-weiter ihres strategischen Gründungsansatzes: »Die Konstruktion der Europäischen Linken, mehr zu sein als nur Partei der Parteien, funktioniert nicht richtig«, sagt sie. »Auch die linken Parteien sind im Wesentlichen national ausgerichtet und ziehen ihre nationalen Sichten auf die europäische Ebene. Den umgekehrten Weg gibt es praktisch nicht.« Eine Feststellung, die EL-Präsident Gysi teilt, wenn auch mit anderen Worten. Man müsse »auch einmal die nationale Beschlusslage vergessen und tatsächlich eine europäische Partei aufbauen, keinen Dachverband«. Oder, wie es Hildebrandt ausdrückt: »Die EL muss angesichts zum Teil geringer nationaler Ressourcen ihre europäischen Projekte so entwickeln, dass sie national und europäisch gesellschaftlich wirksam werden können.«

Immerhin tritt die europäische Linkspartei mit einem ordentlichen Wahlprogramm und zwei Spitzenkandidaten zur EU-Wahl Ende Mai an - wenngleich diese nicht annähernd die Strahlkraft eines Alexis Tsipras haben, mit dem die EL 2014 als »Gesicht« ins Rennen ging. Ende Januar nominierte der Vorstand Violeta Tomic von der slowenischen Partei Levica und den ehemaligen Generalsekretär der Metallarbeitergewerkschaft von Belgien Nico Cue. »Mit diesen beiden Kandidaten machen wir ein klares Angebot für die Menschen in Europa, weil wir auf der Seite derjenigen stehen, die nicht den wachsenden Widerspruch zwischen Reichtum und Armut akzeptieren«, erklärte Gysi.

Die in sechs Hauptpunkte gegliederte EL-Wahlpattform (neues Modell sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung, Ökologie, Demokratisierung, Grundrechte, faire Welthandels- und Wirtschaftsbeziehungen, Frieden) sieht u. a. eine Fixierung der Europäischen Zentralbank auf Beschäftigungsziele, die Förderung erneuerbarer Energien, verstärkte Bürgerbeteiligung an EU-Entscheidungen, das Recht auf kostenlose Bildung, die Berücksichtigung von Menschenrechten in Handelsverträgen sowie die Auflösung der NATO vor. Das ist sicher ein kleiner gemeinsamer Nenner. Aber er umreißt Kernfragen linker Politik für das kommende Jahrzehnt. Und Gysi macht sich selbst und der EL Mut: »Die skandinavischen Linksparteien haben Anfang des Jahres ihre Parteiprogramme korrigiert - sie streiten nicht mehr für einen Austritt ihrer Länder aus der EU. Diese Entscheidung hilft der Europäischen Linken deutlich.«

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