Korruption

Das Strache-Video beeindruckt jene nicht, die gern nach unten treten, meint Leo Fischer

Eines der interessanteren Phänomene der digitalen Öffentlichkeit ist: Es gibt keine Außenseitermeinung mehr. Das rechtspopuläre Geschrei von den sogenannten Mainstreammedien verbirgt nur die Tatsache, dass es keinen Mainstream mehr gibt. Tageszeitungen mit ständig schrumpfenden Auflagen haben millionenfach geklickten Youtubern nur das Renommee voraus, nicht die Reichweite. Wer früher in der Leserbriefspalte nicht durchkam, musste seine Erkenntnisse an die Scheißhauswände schreiben, heute eröffnet er ein Blog. Niemals steht man mit seiner Meinung alleine da: Noch die abseitigste Idee findet die 200, 300 Gleichgesinnten, die eine Community bilden; schon kommt sie einem gar nicht mehr so abseitig vor.

Die Reaktionen auf das Strache-Video auf Seiten seiner Sympathisanten wirkten da wie ein verzweifelter Versuch des Community-Building. Man kann nicht anzweifeln, was man mit eigenen Augen sieht: Hier begeht einer genau das, was man anderen vorwirft - in letzter Konsequenz Landesverrat. Deswegen driften die rechten Erklärungsversuche schon ins Abstruse: Der FPÖ-Mann Strache sei »in eine Falle« gegangen - aber niemand hat ihn gezwungen, einer reichen Gönnerin die Republik zu Füßen zu legen. Er sei betrunken gewesen, unter Drogen gestellt - Gudenus bemühte sogar K.o.-Tropfen, stellt sich praktisch als Vergewaltigungsopfer dar. Aber selbst FPÖ-Wähler dürften betrunken noch nie Landesverrat begangen haben. Strache selbst führt eine irgendwie pubertäre »Prahlerei« an. Aber prahlt man damit, das Land, dem man angeblich als Patriot verpflichtet ist, nach Marktlage verscheuern zu können - wenn man es nicht insgeheim vorhat? Ein Komplott von Geheimdiensten wird erwogen - Kanzler Kurz höchstselbst zieht in seiner Erklärung als erstes die Linie zu einem israelischen Politikberater, stellt seinem Publikum allen Ernstes eine antisemitische Erklärung zur Verfügung. Die Juden verführen und spalten! Aber auch der Mossad kann einen Minister nicht zwingen, einer Milliardärin Aufträge zu versprechen, wenn er es nicht will.

In Wirklichkeit macht sich niemand in den Rechtsparteien ernsthaft Illusionen über die Korrumpierbarkeit ihrer Elite. Die meisten ahnen, dass Alice Weidel und Jörg Meuthen keine selbstlosen Verteidiger des Vaterlands sind. Da sie ohnehin von der Korruption der »Altparteien« überzeugt sind, halten sie es nur für legitim, dass ihre Leute dasselbe Spiel spielen. Das AfD-Wählen lässt sich mit dem psychologischen Mechanismus der Identifikation mit dem Angreifer erklären: Ja, Politiker sind korrupt, sie sind Teil der Strukturen, die uns unterdrücken - aber wenigstens bieten mir diese Politiker die Chance, Teil der Unterdrückung zu werden; die Gewalt nicht nur zu leiden, sondern sie mitzuproduzieren.

Es ist eher das affektive Versprechen, weniger das Funktionieren als politische Fundamentalopposition. Die sozialdemokratischen Parteien bieten nur eine Egalität der Unterdrückung - mit den Rechten gibt es in ihr wieder eine Binnendifferenzierung! Ich darf als Deutscher Ausländer und Schwule schikanieren, kann mich endlich wieder als Herrenmensch gebärden, auch wenn es mir letztlich so miserabel geht wie allen. Nicht zuletzt kann ich mir bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz ausrechnen, wenn er mir nicht von Einwanderern weggenommen werden kann.

Für dieses Versprechen wird AfD gewählt, nicht für einen vagen Patriotismus, den in der Schweiz lebende Spitzenverdiener sowieso nicht glaubhaft repräsentieren. Dieses Versprechen ist schon einen kleinen Landesverrat wert. Langfristig können auch zehn Strache-Videos dieses Bedürfnis nicht zum Schweigen bringen. Es ist letztlich nur eine Frage des Community-Managements.

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