- Sport
- Union Berlin
Schlaflos in Köpenick
Folge 147 der nd-Serie »Ostkurve«: Der Bundesligaaufstieg ist für den 1. FC Union mehr als ein sportlicher Erfolg
Die Schlaflosigkeit wird viele Fans des 1. FC Union noch etwas begleiten. Die erste, spontane Aufstiegsfeier endete für manche erst am Dienstagmorgen. Es waren Bilder, die jeder kennt: friedlicher Platzsturm, Bierduschen, nicht enden wollende Jubelgesänge, Umarmungen wildfremder Menschen, feiern mit der Mannschaft. Pure Glückseligkeit - und immer wieder: »Eisern Union!«. Wirklich eisern hatten zuvor die Berliner Fußballer gekämpft. Das Ergebnis einer leidenschaftlichen Abwehrschlacht: ein torloses Remis gegen den VfB Stuttgart. Nach dem 2:2 im Relegationshinspiel muss der Drittletzte der ersten Liga in der kommenden Saison zweitklassig spielen, der 1. FC Union ist aufgestiegen. Und es wird weiter gefeiert.
Um den Schlaf gebracht wurden viele Fans des Köpenicker Klubs aber schon in den Tagen zuvor, nicht aus Freude oder Vorfreude, sondern vor Anspannung. Weitere Symptome waren »Durchfall seit drei Tagen«, »Appetitlosigkeit seit Donnerstag« oder »ein trockener Mund seit heute morgen«. All das erzählten die Fans am Montagabend vor dem Spiel. Zeit zum Fragen war genug. Schon drei Stunden vor dem Anpfiff war der Stadionvorplatz gut gefüllt.
Seine Gefühle konnte aber niemand wirklich beschreiben. Weil sich einfach keine konkrete Einordnung finden lassen wollte: »Ja, so eine komische Anspannung«. »Irgendwie aufgeregt« waren auch viele. Besonders schlimm hatte es diejenigen erwischt, die einfach nur wollten, »dass es endlich vorbei ist, egal wie«. Dankbar wurde jede Möglichkeit genutzt, um die Emotionen zu entladen. Als der Mannschaftsbus anderthalb Stunden vor Spielbeginn durch Pyronebel vor die Haupttribüne fuhr, grölten dort schon Tausende.
So diffus die Atmosphäre, so klar war das Ziel: Aufstieg in die 1. Bundesliga. Damit erklärt sich aber nur teilweise »dieses ständige Kribbeln im ganzen Körper«, wie es ein Mitfünfziger mit Schal und Hut in den Vereinsfarben zu erklären versuchte. Das Einzigartige bewerkstelligte nach mehreren Anläufen Urs Fischer. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass wir tatsächlich aufsteigen«, sagte er, als es geschafft war. Vielleicht brauchte es einen in Ton und Auftreten so maßvollen Trainer wie den Schweizer. So selten hatte seine Mannschaft aber auch mit der Überzeugung eines Aufstiegsfavoriten gespielt. Am Ende dieser Saison ist das egal: Fischer wird auf ewig eine Vereinslegende sein, und die stehen in Köpenick bekanntlich noch über den Fußballgöttern.
Einer, der den Verein schon sehr viel länger kennt, ist Dirk Zingler. Nach dem Abpfiff weinte er. Nicht nur eine Freudenträne, sondern bitterlich. Seit 15 Jahren ist er Präsident des 1. FC Union Berlin, und damit maßgeblich am Erfolg des Vereins beteiligt. Später, immer noch fassungslos, sagte er: »Auf diesen Tag habe ich 40 Jahre lang gewartet.« Dirk Zingler hat sich in der Aufstiegsaufregung nicht mit den Zahlen vertan.
Vor dem Spiel gegen Stuttgart erinnert sich ein Fan, für alle nachvollziehbar, an das Jahr 1989. Kurz vor der politischen Wende, genau am 3. Juni, spielte der 1. FC Union in der DDR-Oberliga seine bislang letzte Erstligapartie. »Ich war dabei«, sagt er. Jetzt will er wieder dabei sein. Unions Präsident geht ganz bewusst noch zehn Jahre weiter zurück - und kommt damit einer Deutung der unerklärlichen Emotionen vieler Unioner und der absonderlichen Atmosphäre an der Alten Försterei an diesem Montagabend sehr nah.
Die Zeit des Klubs in der DDR, beschreiben Sätze wie »Nicht jeder Union-Fan ist Staatsfeind, aber jeder Staatsfeind ist Union-Fan.« Schon bald nach der Vereinsgründung 1966 wurde im Fanblock bei gegnerischen Freistößen gerufen: »Die Mauer muss weg.« Und schon damals wurde in der Alten Försterei von der Bundesliga als Sehnsuchtsziel gesungen. Das Fußballstadion war in der DDR einer der ganz wenigen Orte, wo man laut und öffentlich seine Abneigung demonstrieren konnte.
»Heimat«, betont Zingler immer wieder, »sind Verein und Stadion heute noch.« Ein typischer Fanspruch: »Ich gehe nicht zum Fußball, ich gehe zu Union.« Die Alte Försterei ist zwar keine Ansammlung von Andersdenkenden mehr, aber ein besonderer Ort geblieben. Dafür stehen Fans und Verein. Ob beim Stadionbau oder im Kampf gegen irrsinnige Sicherheitsdiktate und eine uferlose Kommerzialisierung. Es muss nicht, aber es kann so kommen, wenn ein Vereinspräsident der Fankurve entstammt.
Zwischendurch galt der 1. FC Union mal als unaufsteigbar und wandelte oft nah an einer Insolvenz. Anfang der 90er Jahre verpassten die Köpenicker in drei Relegationsrunden dreimal die zweite Liga. 1993 war nur eine gefälschte Bankbürgschaft schuld. Die Unioner aber fühlten sich auch im neuen System wieder betrogen. Die bei der EM 1992 aufgekommene Parole »Fußballmafia DFB« wurde zum Hit in der Alten Försterei. »Union und erste Bundesliga - das hört sich für mich komisch an«, sagte Zingler nach dem Aufstieg am Montag. Es ist auf jeden Fall mehr als nur ein sportlicher Erfolg.
Dort, wo es rund ums Stadion auch noch weit nach Mitternacht Bier gab, wurde gesungen. Diskutiert wurde eher selten. Erste Liga? Mit dieser Mannschaft? Transfers? Egal, Hauptsache Bundesliga! Die große Sehnsucht ist gestillt. Weitergefeiert wird schon an diesem Mittwoch: ab 18 Uhr am Rathaus Köpenick, anderthalb Stunden später in der Alten Försterei.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.