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  • Elektrokrampftherapie

Mit Stromstößen gegen Depressionen

Die Elektrokrampftherapie erfreut sich in Psychiatrien immer größerer Beliebtheit. Doch es gibt auch Kritiker

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

Julian Steuber ist 38 Jahre alt. Er ist groß und abgemagert, braun gebrannt und hat seinen braunen Hoodie über eine petrolfarbene Kapuzenjacke gezogen. Seine Arme hängen antriebslos herunter. Er steht auf dem Potsdamer Platz in Berlin-Mitte vor einem Zelt der »Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte« - ein Verein mit Verbindungen zur umstrittenen Scientology-Sekte. Bernd Trepping ist Vorsitzender des Vereins und nimmt kein Blatt vor den Mund, weder was seine Kritik an der Psychiatrie, noch was die Verbindung seines Vereins mit Scientology betrifft. »Wir kamen zufällig in Kontakt, Herr Steuber stand einfach plötzlich im Zelt«, beteuert er.

Julian Steuber hat gerade zehn Tage Hungerstreik hinter sich. Mit einem Schild mit der Aufschrift: »Ich fordere Gerechtigkeit. Hungerstreik«, saß er am Rathaus Steglitz und vor dem Haupteingang der Charité. »Ich möchte, dass anerkannt wird, dass mir Unrecht angetan wurde und dass sich was ändert in der Psychiatrie«, sagt er. Seine Liste mit Diagnosen ist lang: Magersucht zählt ebenso dazu wie Depressionen und Selbstmordgedanken. Deshalb sei er auf richterliche Anweisung hin zwangsernährt und mehrere Tage fixiert worden, erzählt er. In Behandlung war er in der Schlossparkklink, in der Charité und im Theodor-Wenzel-Werk. An kaum einer der Einrichtungen lässt er ein gutes Haar.

Steuber redet ruhig und verständlich. Kann über viele Einzelheiten seiner Leidensgeschichte, seiner diversen Klinikaufenthalte, den »Fehlbehandlungen« und dem »Unrecht« berichten. »Es ist ungewöhnlich, dass jemand mit so einer langen Leidensgeschichte und Psychiatrieerfahrung das Erlebte so gut artikulieren kann«, sagt Trepping, der Steuber beim Gespräch nicht von der Seite weicht. Die Frage, ob dieser auch Scientology-Mitglied sei, verneint er. Er erhoffe sich nur Unterstützung bei einem Prozess gegen die behandelnden Kliniken.

Auch wenn Steuber sich an viele Details erinnern kann, mehrere Wochen im Sommer 2014 sind in seinem Gedächtnis wie ausgelöscht, sagt er. In dieser Zeit habe er im Theodor-Wenzel-Werk in Zehlendorf eine sogenannte Elektrokrampftherapie (EKT) über mehrere Sitzungen bekommen. Eine bereits in den 1930er Jahren praktizierte Methode, bei der über die Schläfen Stromstöße in den Kopf geschickt werden.Die EKT dient vor allem der Behandlung besonders schwer therapierbarer Depressionen und katatoner Zustände bei Schizophrenie. Was sich wie eine Behandlungsmethode aus den dunklen Anfängen der Psychiatrie anhört, scheint sich in psychiatrischen Kliniken immer größerer Beliebtheit zu erfreuen. In sieben Berliner Kliniken werde die Methode momentan angewendet, weiß Peter Lehmann, prominenter Kritiker der Elektrokrampftherapie und Herausgeber des Antipsychiatrieverlags.

»Ich wusste in der Zeit nicht mehr, wer ich bin. Ich kann mich auch heute an die Behandlungen nicht mehr erinnern«, schildert Steuber seine Erfahrungen mit EKT. Auch der Moment, in dem er den Einverständnisbogen unterschrieben hat, fehlt in seiner Erinnerung. »Meine Unterschrift wurde erzwungen«, ist er daher überzeugt. Ihm sei signalisiert worden, dass er nicht wieder aus der Psychiatrie herauskomme, wenn er nicht zustimmen würde, behauptet Steuber. Dabei würde man mit der Methode »walnussgroße Löcher ins Gehirn« brennen.

Eine schwere Anschuldigung. Das Theodor-Wenzel-Werk (TWW) dementiert die Vorwürfe ihres ehemaligen Patienten Steuber und teilt auf nd-Anfrage mit: »Behandlungen gegen den erklärten Willen und/oder unter Widerstand des Patienten führen wir hier nicht durch«. Allerdings sei eine Zwangsbehandlung rechtlich möglich, wenn ein gesetzlicher Betreuer eingesetzt worden sei und es eine richterliche Zustimmung dafür gebe, so die Klinik. Der Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung im Hinblick auf die Elektrokrampftherapie ist man sich aber auch im TWW bewusst. Allerdings seien die Erfolge dieser Therapie gut, so Michael Tinkloh, leitender Oberarzt in der psychiatrischen Abteilung des TWW auf nd-Anfrage. In einer Begleituntersuchung sei bei »Patienten, die in der Regel über Monate unter Medikation keine Besserung gezeigt hatten« eine »Responserate« (auf deutsch: Ansprechrate) von 80 Prozent innerhalb von zwei bis vier Wochen festgestellt worden, so Tinkloh. Ein Ergebnis, das bei der Hälfte der Patienten zu monatelanger Besserung führte.

Doch warum ist diese Methode momentan wieder so beliebt? Festzuhalten ist, dass sie mittlerweile stark modifiziert wurde. Die Patienten bekommen heute ein Muskelentspannungsmedikament, wodurch Muskelkontraktionen verhindert werden. Zudem werden sie in Narkose versetzt, so dass sie keine Schmerzen empfinden. Ein Grund für die steigende Beliebtheit könnte darin liegen, dass Behandlungen mit Psychopharmaka und Antidepressiva oft nicht den gewünschten Erfolg erzielen - im Gegensatz zur Elektrokrampftherapie.

Julian Steuber ist trotz der guten Ergebnisse der Behandlung kein Freund der Elektrokrampftherapie - im Gegenteil. Er ist nun auf der Suche nach einem Anwalt, der ihn in einem Rechtsstreit gegen die Kliniken vertritt. Dafür will er zunächst einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellen, da er sich einen Gerichtsprozess anders nicht leisten könne. »Ich werde weiter kämpfen«, sagt er. »Niemand kann verstehen, was ich durchgemacht habe. Ich möchte aufzeigen, dass die Schulmedizin bei weitem mehr schadet, als sie hilft und dass sich was ändern muss in der Psychiatrie«.

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