- Kommentare
- LINKE in der Krise
Trotz alledem: Arbeitsloser Working Class Ossi for Future
Menschen wie Frank Schumacher werden gerne herangezogen, um mit ihren Schicksalen zu erklären, dass sich Politik und Parteien weniger ums Klima kümmern sollten. Doch er widerspricht.
Ich bin einer dieser alten, weißen Männer. Ich bin Ossi und Proletarier aus Meck-Pomm. Ich bin arbeitslos, weil ich vor einem halben Jahr von meinem Verkäuferjob im Niedriglohnsektor gefeuert wurde. Eigentlich das perfekte AfD-Opfer – zumindest keine »urbane Mittelschicht«. Trotzdem wähle ich die LINKE, stehe jede Woche mit den Schülerinnen und Schülern von Fridays-for-Future zusammen und kämpfe für Klimagerechtigkeit.
Sie wissen: Wir Norddeutsche reden nur ungern über uns selbst. Warum also jetzt dieser Artikel von Rainer Rainer Balcerowiak? Weil Menschen wie ich derzeit gerne instrumentalisiert werden, um mit unseren angeblichen, meist abstrakten »Schicksalen« zu erklären, dass sich Politik und Parteien weniger um das Klima kümmern sollten als um Löhne, Renten, Grenzen und alle anderen »ökonomischen und sozialen Fragen«, die »Leuten wie mir« angeblich so ausschließlich wichtig sind. Das entbehrt zwar nicht einer gewissen Ironie – ist Rainer Balcerowiak doch deutlich mehr urbaner Westbürger, als ich das bin – ist aber nicht überraschend.
Über »Leute wie mich« wird doch immer gern geredet, um irgendwas zu begründen, was angeblich in »unserem« Interesse ist. Dagegen erzähle ich hier die Geschichte eines alten, weißen Ostproletariers for Future. Es ist eine wahre Geschichte und als solche nicht immer ganz linear. Aber so ist das mit der Wahrheit: Sie ist ein bisschen komplexer als die Projektionen derjenigen, die Menschen wie mich für ihre reaktionären Ziele nutzen wollen.
Geschichte eines Arbeiterkindes
Geboren und aufgewachsen bin ich im Norden der DDR, genauer, in Schwerin, in einer Arbeiterfamilie. Meine Mutter war Sekretärin in einem landwirtschaftlichen Verwaltungsbetrieb, mein Vater erst Melker, dann Gabelstaplerfahrer im Kombinat für Sekundärrohstofferfassung in unserer Stadt. Jetzt sind beide Rentner.
Ich ging bis zur achten Klasse in die Polytechnische Oberschule, wurde in der ersten Klasse Pionier, später FDJler. Statt zur Konfirmation ging ich zur Jugendweihe wie alle meine anderen Klassenkameraden auch. Ich hielt mich für unpolitisch. Der Wunsch Fotojournalist zu werden, scheiterte an der damit verbundenen Mitgliedschaft in der SED. Die kam für mich nicht infrage. Trotzdem war ich links und die Welt für mich in Ordnung.
Ich entschied mich, Lehrer zu werden. Machte dafür mein Abitur. Um studieren zu können, verpflichtete ich mich, drei Jahre bei der Nationalen Volksarmee Unteroffizier zu sein. Den Waldbrand, den wir im ersten Jahr, nur mit unseren Spaten bewaffnet, auf einem munitionsverseuchten Raketenübungsplatz löschen mussten, habe ich auch heute noch vor meinem inneren Auge. Dazu kam der Geruch von brennenden Kiefern, die Hitze, das Knallen der Munition, die da und dort hochging. Die Sohlen unserer Stiefel schmolzen auf dem glühenden Waldboden.
Als in Brandenburg vor kurzem die Wälder brannten, dachte ich deshalb an die Feuerwehrmänner: Ist der Klimawandel für diese wirklich eine esoterische Frage?
Tschernobyl war die erste menschengemachte Umweltkatastrophe, die ich bewusst erlebt habe. Einerseits ein großer Schock angesichts der Bilder, die wir im Westfernsehen sahen. Andererseits wollte ich glauben, dass die in der Bundesrepublik übertrieben, wenn sie von spürbaren Auswirkungen der Katastrophe auf das Leben in ihrem Land sprachen. Konnte doch gar nicht sein. Wir lagen doch dazwischen.
Nach Ende der langen drei Jahre bei der NVA wurde ich nicht Lehrer. Stattdessen lernte ich, in meiner Heimatstadt Großrechner zu fahren. Immer noch unpolitisch, geriet ich 1989 durch Zufall in eine Demonstration gegen die SED-Führung für eine bessere DDR. »Sta - Si – in - die – Volks – wirt - schaft!«, riefen sie. Klang gut. Trotzdem blieb das mein einziger Beitrag zum Fall der DDR-Regierung.
Umweltthemen gab es auch in meiner Jugend schon – saurer Regen, Ozonloch, später Klimawandel. Aber wir, also viele Menschen meiner Generation und ich, dachten, das würde schon nicht so schlimm und Greenpeace würde sich im Westen ja darum kümmern. Denn: In der DDR gab es offiziell keine Umweltprobleme. Höchstens Industrienebel. Und wenn doch Smog, dann war er aus dem Westen zu uns herübergeweht. Stand so im ND. Stimmte also.
1990 fing ich ein Ingenieurstudium für Wasserwirtschaft und Umweltschutz an, übersah dabei die Wasserwirtschaft und hörte deswegen zwei Semester später wieder auf. Mathe geht bei mir nicht. Aber immerhin war ich währenddessen auf meiner ersten selbstgewählten Demo. Wir haben gegen das Atommüllendlager in Morsleben (für die Westdeutschen unter Ihnen: unser Gorleben) protestiert.
Das Übersetzerstudium in Leipzig endete nach sechs Semestern übrigens auch im Nichts, aber das nur nebenbei.
Waren Sie eigentlich schon mal in einem Uranbergwerk? Mein nächster Job, immerhin in einem wasserwirtschaftlichen Ingenieurbüro, gab mir die Möglichkeit, über 100 Meter tief in einen ausgedienten Stollen zu fahren und mir anzusehen, unter welchen Bedingungen das giftige Zeug gefördert wurde. Natürlich dachte ich an Tschernobyl und an unsere Morsleben-Demo. Trotzdem blieb es bei: »Wird schon nicht so schlimm werden, ich kann sowieso nichts tun, die Anderen werden sich schon kümmern, die machen das toll!«
Auch in den folgenden Jahren, mittlerweile war ich im Einzelhandel beschäftigt, habe ich nichts getan als den Menschen Dinge zu verkaufen, die sie brauchten. Oder vielleicht auch nicht. Die bevorstehende Klimakatastrophe zeichnete sich immer deutlicher ab. Und auch die abgehängten Ossis wurden immer lauter.
Ende letzten Jahres wurde ich dann gefeuert – die Kündigung kam per Einschreiben gegen 12 Uhr. An Heiligabend. Frohe Weihnachten.
Trotz alledem: Arbeitsloser Working Class Ossi for Future!
Da stand ich nun: alt(ernd). Ossi. Gerade arbeitslos geworden. Mit lauter »ökonomischen und sozialen Problemen« und allem Grund, die AfD zu wählen und meine Vergangenheit zu verfluchen, in der ja noch alles irgendwie in Ordnung war. Hat jedenfalls damals im ND gestanden, dass alles okay war.
Und was steht heute im »nd«? Da lese ich, wie jemand die Bedeutung der Klimakatastrophe klein- oder wegredet, sie zu einem »esoterisch anmutenden« Gedönsthema machen will. Wie er meine Freundinnen und Freunde, meine Genossinnen und Genossen bei Fridays-for-Future als »mittelständisch geprägte Vorfeldorganisation« der Grünen diskreditiert. Eigentlich auch nicht anders als Lindner, Ziemiak und die anderen »Erwachsenen«, die die Kinder wegdiskutieren wollen. Tatsächlich sind es genau diese Kinder und Jugendlichen, Schülerinnen und Studentinnen, die mir mit ihrer Energie, ihrer radikalen Ehrlichkeit und ihrem klaren Blick auf die Dinge, die uns bevorstehen, wieder Mut für die Zukunft machen.
Und die mir eine Chance geben, endlich das zu tun, was ich all die Jahre hätte tun sollen: Meinen Arsch hochkriegen und endlich Verantwortung dafür übernehmen, was wir in, was wir mit der Welt machen.
Das ist der Grund, warum ich an der Seite der jungen Leute gegen die Klimakatastrophe kämpfe. Leute wie Balcerowiak mögen glauben, dass für Leute wie mich das Fressen vor der Moral kommt. Ich habe zu Hause etwas anderes gelernt. Was Du nicht willst, was man dir tu... Deswegen bin ich: ein OldWhiteManForFuture.
Weitere Texte aus dieser Reihe:
-
Ökoliberaler Mainstream als Meinungsführer
Rainer Balcerowiak über Wahlerfolge der Grünen, die Ohnmacht von Union und SPD und eine LINKE, die in der Mitte der Gesellschaft auf Stimmenfang ist -
Handbremse lösen!
Das schlechte Ergebnis der LINKEN bei der Europawahl ist kein Ausdruck einer zu großen Öffnung der Partei für neue Bewegungen und Milieus – im Gegenteil
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.