Die Verhältnisse geraderücken

Senat beschließt Eckpunkte für fünfjähriges Mietenmoratorium

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Der Senat beschließt die Einführung landesrechtlicher Regelungen zur Begrenzung der Miethöhen (sogenannter Mietendeckel) und die vorgelegten Eckpunkte. Die Mieten dürfen demnach für fünf Jahre nicht erhöht werden.« Diese lapidaren Sätze könnten Mietern in Berlin eine mindestens fünf Jahre währende Atempause beim Mietenwahnsinn verschaffen. Am Dienstag hat der Senat bei seiner wöchentlichen Sitzung Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zum Mietendeckel bis zum 15. Oktober beauftragt.

»Die Regelungen sollen zu heute rechtswirksam sein«, sagt Lompscher auf der Senatspressekonferenz. Das bedeutet, dass die hastig verschickten Mieterhöhungsverlangen, die wahrscheinlich Zehntausende Berliner in den letzten Tagen bekommen haben, spätestens mit der Veröffentlichung des Gesetzes, die im Januar 2020 erfolgen soll, gegenstandslos sein sollen. »Es ist beabsichtigt, dass die Rechtswirkung des Gesetzes diese Mieterhöhungen umfasst«, bestätigt die Senatorin. Nicht, ohne noch einmal den »unsäglichen Aufruf« des Vermieterverbandes Haus & Grund Berlin zu verurteilen. Mit einem Countdown auf seiner Homepage wies Haus & Grund auf den Stichtag 18. Juni hin, ab dem für lange Zeit keine Mieterhöhung mehr möglich sei. »So etwas kann man einfach nicht bringen«, bekräftigt Lompscher ihre Missbilligung.

Eckpunkte des Mietendeckels

Für über 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin werden die Mieten mit Stichtag 18. Juni 2019 für fünf Jahre eingefroren, auch bei Neuvermietung. Ausgenommen sind Sozialwohnungen und Neubauten.

Modernisierungsbedingte Mieterhöhungen müssen gemeldet werden. Bis zu einer Höhe von 50 Cent pro Quadratmeter gilt eine Anzeigepflicht, für höhere Umlagen müssen Vermieter eine Genehmigung einholen.

Vermieter können eine Erhöhung der Miete beantragen, falls sie sonst in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen.

Der Senat wird Mietobergrenzen definieren. Mieter können prüfen lassen, ob ihre Miete überhöht ist. Ist das der Fall, muss sie abgesenkt werden. nic

Die Mieter, die ein entsprechendes Mieterhöhungsverlangen bekommen haben, können ihre Hände jedoch nicht einfach in den Schoß legen. »Die Mieterinnen und Mieter sollen sich auf jeden Fall beraten lassen«, sagt Sebastian Bartels, stellvertretender Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. »Man muss nicht in Panik verfallen, darf die Sache aber auch nicht zu lange liegen lassen«, sagt Bartels weiter. »Bis letzte Woche hätte ich gesagt, dass wir gerade die ganz normale Bugwelle an Beratungen zu Mieterhöhungen haben, weil im Mai schließlich der neue Mietspiegel veröffentlicht worden ist«, erklärt der Mietervertreter. »Aber seit gestern haben die Terminanfragen massiv zugenommen.«

Nicht nur private Vermieter, auch Genossenschaften wollen mehr Miete haben. Die Berliner Baugenossenschaft eG (bbg) hat für rund die Hälfte ihres Bestandes von 7000 Wohnungen Mieterhöhungsverlangen verschickt, wie aus einer E-Mail hervorgeht, die »nd« vorliegt. »Dieser Schritt ist notwendig, damit die Genossenschaft auch in den kommenden Jahren ihre Instandsetzungs- und Modernisierungsverpflichtungen im gleichen Umfang fortsetzen kann«, heißt es in dem Schreiben. Tatsächlich haben Genossenschaften die Möglichkeit, über auf Mitgliederversammlungen beschlossene Umlagen auch jenseits des Mietrechts Beiträge von ihren Mitgliedern einzufordern, wenn das nötig ist. Dies lässt sich aus einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 1989 folgern.

In ganzseitigen Anzeigen in mehreren Berliner Tageszeitungen hatten die Genossenschaften am Dienstag Stimmung gegen den Mietendeckel gemacht. »Mit dem Protest gegen den Mietendeckel haben die Genossenschaften aus meiner Sicht einen Ersatzschauplatz gefunden«, sagt der Stadtsoziologe Andrej Holm dem »nd« auf Anfrage. Das Projekt habe das Fass zum Überlaufen gebracht. »Die Genossenschaften sind schon länger unzufrieden und hatten sich von Rot-Rot-Grün mehr erwartet«, so Holm. »Mit ihrer Betonung der Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Auflagen haben sie bisher aber auch keinen überzeugenden Beitrag für eine neue Wohnungspolitik eingebracht«, findet der Soziologe. »Eigentlich müssten die Genossenschaften vorangehen und die Bedingungen definieren, unter denen sie die dauerhaft belegungsgebundenen Wohnungen erstellen könnten, die so dringend gebraucht werden«, fordert er.

Vor dem Senatsbeschluss hatte es in der rot-rot-grünen Koalition noch einmal ordentlich gerumpelt, weil die Senatskanzlei unter Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) auf einmal eine geänderte Beschlussvorlage aus dem Hut zauberte. Das gelangte an die Öffentlichkeit und letztlich blieb es beim Beschluss der Eckpunkte ohne Einschränkungen. Ein »Schuss ins Knie«, ein »PR-Gau« und »ein typischer Alleingang der Senatskanzlei«, sei das gewesen, heißt es bei Sozialdemokraten.

»Gerade weil der Mietendeckel so ein umstrittenes Thema ist, hätte es eine Einigkeit der politischen Akteure geben müssen. Nun wirkt es für viele von außen, als sei das Konzept nicht richtig durchdacht gewesen: Die Koalition liefert eine fatale Performance ab«, sagt Holm dazu. Das Vorgehen sei besonders unerklärlich, weil beim »Mietendeckel die Initiative von Teilen der SPD ausgegangen ist«. Aus Regierungskreisen habe »es zunächst kaum Reaktionen und lange Zeit auch keine Gegenstimmen« gegeben, erklärt Holm.

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