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- 35-Stunden-Woche
Ein Leuchtturm, der nicht ausstrahlt
Eine Schraubenfirma in Thüringen macht das, was anderswo unmöglich sein soll: Sie führt schrittweise die 35-Stunden-Woche ein
Die erste Stufe ist bereits erreicht: Seit einigen Monaten schon müssen die Beschäftigten des Schraubenhersteller EJOT im thüringischen Tambach nicht mehr so lange arbeiten wie in der Vergangenheit. Statt wie im vergangenen Jahr 38 Stunden pro Woche beträgt die Wochenarbeitszeit in dem Unternehmen nach eigenen Angaben inzwischen nur noch 37 Stunden - und für einige der Beschäftigten nach Angaben der IG Metall sogar darunter.
Einige EJOT-Mitarbeiter, die in einem bestimmten Schichtsystem arbeiteten, würden schon jetzt nur noch 35 Stunden pro Woche zur Arbeit müssen, sagt der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Eisenach, Uwe Laubach, in dessen gewerkschaftlichen Zuständigkeitsbereich das Unternehmen fällt. Laubach ist noch immer voll des Lobes über das, was das Unternehmen und seine Gewerkschaft vor einigen Monaten ausgehandelt hatten; in diesen Tagen vielleicht umso mehr, da Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter erneut darüber verhandeln, ob in der Metall- und Elektroindustrie auch in den neuen Bundesländern die 35-Stunden-Woche in Tarifverträge eingeflochten werden kann.
»Das waren damals ordentliche Verhandlungen mit EJOT«, sagt Laubach. Und mehr noch: Der geschäftsführende Gesellschafter der EJOT-Gruppe, Christian Kocherscheidt, habe damals »ein klares Bild« davon gehabt, dass es an der Zeit sei, Arbeitnehmer in Ost und West zu den gleichen Konditionen zu beschäftigten. »Nach 30 Jahren Einheit«, sagt Laubach, »ist das eine Position, die jeder haben sollte, der einen gesunden Menschenverstand hat.«
Das Ergebnis dieser Verhandlungen: EJOT, dessen Holding in Bad Berleburg in Nordrhein-Westfalen sitzt, führt auch an seinem Standort in Thüringen schrittweise die 35-Stunden-Woche ein, indem die etwa 580 Beschäftigten in Zukunft nach dem Metalltarifvertrag entlohnt werden, der auch in Nordrhein-Westfalen gilt. Diese Angleichung vollzieht sich in drei Schritten und zieht sich über drei Jahre. Ein Teil dieser Angleichung ist nach Angaben des Unternehmens auch: Parallel dazu, dass die meisten Beschäftigten bei EJOT in Tambach nun eine Stunde weniger pro Woche arbeiten müssen, erhalten sie mehr Geld als in der Vergangenheit.
Obwohl das Unternehmen mit dieser Entscheidung zur Angleichung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zwischen den alten und den neuen Ländern eine Vorreiterrolle einnimmt, äußert sich EJOT-Geschäftsführer Wilfried Pinzl zurückhaltend zu den laufenden Verhandlungen zur 35-Stunden-Woche. Mit Blick auf die Gespräche sagt er nur: »Das Thema ist somit in Bewegung.« Während der Betriebsratsvorsitzende des EJOT-Teils in Tambach, Stephan Hofmann, in dieser Frage deutlicher wird, klingt auch er dabei nicht gerade euphorisch: »Es sollte aus Sicht des Betriebsrates versucht werden, die Arbeitszeitreduzierung flächendeckend in den neuen Ländern umzusetzen«, sagt er.
Beider Zurückhaltung dürfte damit zu tun haben, dass auch die IG Metall EJOT für so etwas wie ein Vorzeigeunternehmen hält, das nicht stellvertretend für die Masse der ostdeutschen Metallfirmen steht. »Die Arbeitsbedingungen liegen da schon lange im oberen Bereich in der Region«, sagt Laubach. Es sei deshalb kein Zufall, dass ausgerechnet dort die »35« ausgehandelt worden war. Ein Leuchtturm ohne Strahlkraft - in vielen anderen Unternehmen, in denen er unterwegs ist, seien die Widerstände gegen eine Absenkung der Arbeitszeit noch immer riesig, sagt Laubach.
Die Argumente, die die Arbeitgeber brächten, seien noch immer die gleichen wie in der Vergangenheit, und keines davon hält Laubach für stichhaltig: Die Produktivität im Osten sei geringer. Schon jetzt gebe es so viel Arbeit, dass viel davon liegen bleiben würde, wenn man die Arbeitszeit verkürze. Der Osten brauche diesen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Westen.
Für den Thüringer Gewerkschafter ist die Strategie deshalb klar: mit den Arbeitgebern über die flächendeckende Einführung der 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie verhandeln. Und beim Scheitern dieser Verhandlungen in das gehen, was Metaller »Häuserkampf« nennen. »Dann müssen wir versuchen, noch mehr EJOTs zu schaffen«, sagt Laubach.
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