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- J.R.R. Tolkien
Ein einsames Pferd namens Lutz
Immer bloß schön: Das Biopic »Tolkien« erzählt vom Leben des Schöpfers des »Herrn der Ringe«
Das Problem sind die Erwartungen. Wer das Leben des britischen Schriftstellers und Altphilologen John Ronald Reuel Tolkien erzählt, provoziert Vorfreude auf philosophische Gedanken, linguistische Tauchgänge, Veranschaulichung des Schreibhandwerks, Enträtselung und Ausdeutung jener fiktiven Welt Mittelerde. Man will nicht bloß das Genie, man will es als Genie sehen, und hierzu muss es inhaltlich bewältigt worden sein. Auch Peter Berg hätte an Mozart kaum gründlicher scheitern können als seinerzeit Miloš Forman. Der Mangel des Biopics »Tolkien«, will ich damit sagen, liegt nicht in der Regie. Dome Karukoski weiß, was er tut, seine Wirkungen scheinen kalkuliert. So grazil die Schrittfolgen sind, diese Füße passen nicht ins zu große Paar Stiefel.
In Tolkien gehen bedeutet, in seine Welt gehen. Die elementare Kollision seiner Biografie erscheint als Verhältnis konvergenter und divergenter Denkart: der analytische Geist, der fremde Sprachen ergründet, der Querulant, der sich nicht fügen will. In einem Bildungssystem, das auf Domestizierung und Kanonisierung beschränkt bleibt, einer Gesellschaft, die die Poesie der Verstorbenen ehrt, aber ihren Kindern untersagt, selbst Dichter zu werden, ist das Verständnis der eigenen Rolle als immer schon sekundäre vorgeprägt.
Bei J. R. R. Tolkien gingen Kreativität und Analyse organisch in einem auf. Er hat Sprachen nicht bloß erforscht, er hat sie erschaffen, seine erzählerische Welt nicht bloß erfunden, sondern auch etabliert. Analysen wie die der Geografin Karen W. Fonstad konnten nachweisen, wie durchrechnet Ort, Zeit und Geschehen in Mittelerde sind. Jede Story-Idee sprengt einen vorgegebenen Rahmen; gleichwohl verhält sich die Auserzählung zu den Mechanismen des Genres und schafft konvergentes Denken spätestens im Worldbuilding - jenem akribischen Anhäufen und Justieren von Material als Substrat, aus dem die Erzählung wächst - eine innere Logik, die den Einfall allererst lebendig macht. Diese Kommunikation feindlicher Prinzipien als Bedingung poetischer Konstruktion wird vom Film nicht hinreichend ernstgenommen.
Tolkiens Talent ist mehr behauptet als sichtbar; man hört davon, aber man hört es nicht. Er bewegt sich unter Linguisten, und ständig scheint es um Sprache zu gehen, doch nirgends wird linguistische Theorie fürs wenigste angerissen. Man sieht einen leeren Mann, der andere Wege beschreitet als in Oxford gern gesehen. Ähnliches gilt für die Behandlung der Liebe. Das Moment der Überschreitung regiert, wenn Tolkien seiner späteren Frau Edith schreibt, es gehe nicht um Glück, sondern um Magie. Die Kehrseite hierzu fehlt, dass die Magie der Liebe nämlich zugleich des Glücks bedarf, um zu dauern.
Seine besten Momente hat der Film folglich, wo man das Genie als noch nicht entfaltetes sieht. J.R.R. Tolkien, der meist Ronald genannt wird, wächst ohne Vater und bald auch ohne Mutter auf. Der Zusammenhang jener Fähigkeit, eine Welt im Geiste zu bauen, mit der Einsamkeit auf dem Lande, den häufigen Ortswechseln, dem Leben als Waisenkind ist weder hinreichend noch notwendig, lässt sich konkret aber herstellen.
Arno Schmidt prägte den Ausdruck vom »längeren Gedankenspiel«, zu dem begabte Kinder unter Bedingungen der Isolation greifen. Er führt an den Brontë-Geschwistern mit ihren Traumwelten Angria und Gondal (nicht Gondor) wie auch am zeitweilig erblindeten Karl May mit seiner Western- und seiner Orient-Welt aus, dass bei dieser Art Schriftsteller die Arbeit des Erfindens der Arbeit des Schreibens weit vorausgeht, oft schon in der Kindheit einsetzend, weil dieses Fabulieren ohne Story (das Erschaffen der Welt, in der die späteren Stories spielen) eine persönliche Behelfsfunktion hat.
Zu Hause sei, wo immer man sich aufhalte, sagt die Mutter, um Ronald den Abschied von dem kleinen Vorort Sarehole, in dem er aufwuchs, zu erleichtern. Denn was man in sich einschließe, könne man überallhin mitnehmen.
Diesen angeschlagenen Takt vermag der Film nicht zu halten; vielmehr wird er über weite Strecken von einer sehr gewöhnlichen Love-Story getragen, also nicht getragen. Hier ebenso wie beim großen Thema des Dichters plätschert er maßlos mäßig vor sich hin, und Fanservice muss die Langeweile überspielen. Nichts kommt aus der Konstruktion, alles ist Anspielung, Einzelheit.
Man wird nicht von Gedanken oder Empfindungen gepackt, sondern mit Bekanntem beliefert. Etwa wenn Ronald auf dem Schlachtfeld für einige Zeit einen Begleiter namens Sam findet, wenn dort ein einsames Pferd zu sehen ist (das vermutlich Lutz heißt), wenn Ronald als Kind im Wald Schwertkampf übt wie Boromir gegen die Uruk-hai, wenn er sich hinter einer Mauer versteckt wie Frodo vor den Nasgul, wenn man die Freunde von der »Tea Club, Barrovian Society« als Vorlage der vier Hobbits in Szene gesetzt sieht, wenn Wagners »Ring der Nibelungen« auf den »Herrn der Ringe« zugedrechselt wird, wenn Tolkien besoffen ein selbsterfundenes Finno-Elbisch lallt, das Wort »Mittelerde« in der Bibliothek fällt usw. usw., dann mag man nicht ausschließen, dass dies oder das tatsächlich so passiert sei, aber es ist penetrant, vordergründig. Man sieht die Motive, aber nicht, was sie dem Dichter bedeuten und was er daraus gemacht hat.
Dem entspricht die seltsame Leere im Weltanschaulichen. Gerade noch so - es ließ sich wohl nicht vermeiden - wird Tolkiens Prägung durch den Katholizismus gezeigt, aber Ronald erscheint als ihm bloß ausgesetzt. Die starken Spuren dieser Erziehung in seinem Denken bleiben unverarbeitet. Auch der leidenschaftliche Antikommunismus, das defätistische Geschichtsverständnis, die Unterpräsenz weiblicher Figuren in seinem Werk spielen keine Rolle. Somit sind Deutungen, die über den Dichter hinausgesehen, erst recht außer Betracht, Umstände z.B., die zulassen, Saruman als den Eduard Bernstein von Mittelerde zu verstehen, der sich dem Bösen nicht aus Überzeugung, sondern aus dem Gefühl der Ohnmacht anschließt.
Auf den Ersten Weltkrieg bezogen scheint der Film ebenso ohne Inhalt und fällt noch hinter das vulgäre Verständnis scheinbar materialistischer Szenarien wie »Apocalypse Now« oder »Im Westen nichts neues« zurück. Karukoski hat erklärt, dass dergleichen kein Zufall sei und »Tolkien« der Versuch, den Gegenstand visuell zu fassen. Indessen versagt die vielberufene Macht der Bilder bei allem, was mehr als ein Komma fordert, und Tolkiens Poesie lässt sich ohne Ideen, ohne Rücksicht auf Strukturen nicht verstehen. Wir sehen einen assoziativen, einen Random-Tolkien, aus dem nichts folgt als die Frage, warum Karukoski es nicht gleich mit einem Stummfilm versucht hat.
Vielleicht wäre dann noch deutlicher geworden, wie verlogen diese Bildästhetik ist. Weichgespült bis in die letzte Einstellung - während Kostüm, Schauspiel und Musik gestisch durchaus funktionieren -, scheinen Szenenbild, Farbe, Licht, Cadrage und Bewegung immer bloß schön und nie auch bedeutend. Da ist nichts, das sich dem Empfinden widersetzt. Selbst die blutig-schmutzigen Sequenzen auf dem Schlachtfeld bleiben derart geleckt, dass eine Fotografie-Ästhetik entsteht, die an Samuel van Hoogstratens Malerei erinnert, die Dunkelheit ohne Düsternis, Unsauberkeit ohne Schmutz, Kanten ohne Abgründe zeigt.
»Tolkien«, USA 2019. Regie: Dome Karukoski. Darsteller: Nicholas Hoult, Lily Collins, Colm Meaney. 111 Min.
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