Sieben Mal Europa plus USA

Die Konstellation des WM-Viertelfinales spiegelt die Übermacht eines Kontinents im Frauenfußball wider

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Manchmal kommen einem im Schlaf die besten Gedanken. Zumindest wenn es solche Eingebungen sind, von denen Sherida Spitse im Roazhon Park von Rennes erzählte. Die Rekordnationalspielerin ist eigentlich auch die etatmäßige Elfmeterschützin der Niederlande. Und somit lag es nahe, dass die 29-Jährige auch im dramatischen WM-Achtelfinale gegen Japan (2:1) in der 90. Minute zur Ausführung schreiten würde, um einen von Schiedsrichterin Melissa Borjas aus Honduras verhängten Strafstoß zu verwandeln. »Ich träumte davon, Lieke in so einem Moment den Ball zu überlassen. Weil ich wusste, wenn Lieke schießt, gewinnen wir«, verriet Spitse, kurz nachdem sie das Spielgerät an besagte Lieke Martens übergeben hatte. Und der Traum sollte wahr werden.

Die beim FC Barcelona spielende Offensivkünstlerin, die bereits beim 1:0 so formidabel den Ball ins Tor gelenkt hatte, verwandelte den Strafstoß. Hernach bedankte sich die 26-Jährige, mittlerweile bekannteste Fußballerin ihres Landes, ausgiebig für die Geste der Kollegin. Die Europameisterinnen waren weiter, die Vizeweltmeisterinnen ausgeschieden.

»Ja, es war ein Elfmeter«, flüsterte Saki Kumagai in die Mikrofone, obwohl manch einer daran zweifelte. Japans Kapitänin war der Ball aus kurzer Entfernung an den Arm geschossen worden. Die mit so viel Übersicht glänzende Abwehrspielerin vom Champions-League-Sieger Olympique Lyon wollte in der Niederlage aber tapfer ein, während die meisten Mitspielerinnen mit Tränen in den Augen zum Bus stapften. Eine dermaßen tragische Niederlage hatte das laufstarke und kombinationssichere japanische Ensemble nicht verdient, zumal sich damit der letzte Repräsentant vom asiatischen Kontinent von der WM verabschiedete. Stattdessen zog das siebte europäische Team ins Viertelfinale ein. 2015 hatten die Japanerinnen das WM-Achtelfinale in Kanada noch mit demselben Ergebnis gegen die Niederlande gewonnen. Doch in vier Jahren ist viel passiert.

Würde nicht der Rekordweltmeister USA noch mitspielen, wären die Europäer bereits unter sich. Zufall ist das nicht. Zumindest in West- und Südeuropa, in Skandinavien sowieso, ziehen Verbände und Vereine weitgehend gemeinsam an einem Strang, um das Potenzial im weiblichen Bereich besser auszuschöpfen. Das geschieht zwar mit unterschiedlicher Kraft, aber die Stoßrichtung ist dieselbe. Den Nachwuchs stärken, die Strukturen verfestigen, die Professionalität erhöhen. »Ich denke, in Europa entwickelt sich der Frauenfußball am schnellsten und am stärksten«, sagte die niederländische Trainerin Sarina Wiegman. Das hohe Niveau in den Wettkämpfen, vermehrt auch in der Champions League, sei dafür verantwortlich. »In vielen Ligen entwickelt sich etwas.« Während in Südamerika oder Afrika die Fußballerinnen immer noch gegen Vorbehalte kämpfen müssen.

Die Niederlande beispielsweise haben die Ausrichtung der EM 2017 dazu genutzt, ein nachhaltiges Projekt aufzuziehen. »Wir haben schon Geschichte geschrieben«, sagte Jackie Groenen, »und das wollen wir jetzt noch weiter tun.« Die Mittelfeldspielerin darf die Nummer 14 tragen, die in der Heimat wegen der Legende Johan Cruyff eine so große Bedeutung besitzt. Die 24-Jährige wechselt gerade vom 1. FFC Frankfurt zu Manchester United, und ein Halbfinale Niederlande gegen Deutschland würde sie »mega, mega« finden.

Ihr Achtelfinale hatte auf der Tribüne passenderweise die deutschen Spielerinnen verfolgt, die in Rennes erst einmal den obligatorischen Klassiker gegen Schweden im Viertelfinale überstehen müssen. Die komplette DFB-Delegation beobachtete, dass auch der deutsche Gegenentwurf ans Ziel führen kann: Im niederländischen System kommen fast immer dieselben Spielerinnen und dieselbe Formation - das traditionelle 4-3-3 in holländischer Bauart - zum Einsatz. Warum auch etwas ändern, was 2017 zum ersten internationalen Frauentitel führte. Nicht nur der Endspielort Enschede berauschte sich damals am EM-Triumph der »Leuwinnen«. Vivianne Miedema und nicht Arjen Robben gehörten damals die Schlagzeilen.

Die Popularität hat geholfen, etwas anzuschieben: In Frankreich bewegt sich stets eine fröhliche Karawane, die mit Pauken und Trompeten für Stimmung sorgt, in vierstelliger Zahl in die Spielorte. »Ich hoffe, dass wir nächstes Spiel wieder viele Oranjes sehen werden«, sagte Wiegman. Das Viertelfinale gegen Italien am Sonntagnachmittag in Valenciennes könnte besser nicht gelegen sein: direkt an der belgischen Grenze. Dort duellieren sich zwei Nationen, die ihren Fortschritt gerade mit besonderem Nachdruck aufführen. Dornröschenschlaf war gestern. Nur geträumt werden darf noch.

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