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- LINKE in der Krise
Die Angst muss auf der anderen Seite sein
Die LINKE muss analysieren, wo latente Konflikte in der Gesellschaft besonders stark sind, sie politisch vorantreiben und so an die Oberfläche holen
Die Wahlen und der Höhenflug der Grünen haben die Diskussion um linke Regierungsbeteiligungen wieder verstärkt. Sowohl die erfolgreiche Regierung in Berlin als auch die katastrophale in Brandenburg zeigen, dass es nicht um ein abstraktes Ja oder Nein geht, sondern um eine ehrliche Analyse der Kampfbedingungen und das Nutzen von Möglichkeitsfenstern.
Ich gebe zu, ich gehöre zu dem Teil der Linkspartei, den beim Wort Regierungsbeteiligung erst einmal eine gewisse Skepsis befällt. Entsprechend kritisch beobachtete ich deshalb die Berliner Landesregierung, obwohl der Koalitionsvertrag durchaus ordentliche Verbesserungen festschrieb. Aber Papier ist ja bekanntlich geduldig. Nach den ersten Monaten und dem unwürdigen Herausdrängen des Soziologen und kurzzeitgen Staatsseketärs Andrej Holm sah ich meine Skepsis auch erst einmal bestätigt. DIE LINKE war nach ein bisschen Gegenwind vom Kapital wieder einmal in der Regierung eingeknickt, schien es. Jetzt, gut zwei Jahre später, habe ich meine Meinung geändert – in Berlin haben wir erstmals gesehen, dass wir an der Regierung etwas Substanzielles erreichen können.
Berlin zeigt, dass sich DIE LINKE in der Regierung mit dem Kapital anlegen kann
Das liegt an einer Politik, die es geschafft hat, Bewegung auf der Straße und die Schalthebel der Regierung klug miteinander zu verbinden und so gegenseitig zu verstärken. Dazu gehörte den Druck der Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« nicht als Angriff auf sich als Regierung zu begreifen, sondern als Chance Druck auf die Koalitionspartner*innen auszuüben. Nur dadurch konnte der Mietendeckel als wichtiger Reformschritt durchgesetzt werden.
Nur durch dieses Zusammenspiel war ein Möglichkeitsfenster da, um den Druck in einen konkreten Fortschritt zu übersetzen. Wenn es keine Bewegung auf der Straße gegeben hätte, die den Immobilienhaien und ihren politischen Vertreter*innen wirklich Angst vor Enteignung einjagen würde, wäre der Mietendeckel nicht umsetzbar gewesen. Aber genau so wäre es ohne DIE LINKE, die einen Fuß im Machtapparat hat, wahrscheinlich nur ein weitestgehend vergebliches Anrennen gegen ein festes Bollwerk gewesen. So aber hat erstmals eine linke Landesregierung wirklich in den Grundkonflikt zwischen Kapital und Arbeit eingegriffen und nicht nur eine etwas sozialere Verwaltung des real existierenden Kapitalismus betrieben.
Brandenburg zeigt, dass bloßes Verwalten in die Nutzlosigkeit führt
Wohin die bloße Verwaltung des Bestehenden ohne ein reales Veränderungsprojekt führen kann, können wir wenige Kilometer entfernt in Brandenburg sehen. Unter der fadenscheinigen Begründung, dass eine rechte Regierung alles nur noch schlimmer machen würde, haben die Genoss*innen von der – letztlich gescheiterten – Kreisgebietsreform über die Aufstockung des »Verfassungsschutzes« bis zum verschärften Polizeigesetz so ziemlich alles mitgetragen was wir als LINKE in allen anderen Ländern zu recht bekämpfen. Diese inhaltliche Selbstverleugnung zeigt nicht nur, dass die Brandenburger Parteiführung jeden Kontakt zu Realität und Basis verloren hat. Sie fällt auch allen Genoss*innen in den Rücken, die in anderen Ländern auf ihre Glaubwürdigkeit im Kampf für eine bessere Gesellschaft angewiesen ist. Damit schadet diese Regierungsbeteiligung der Partei enorm.
Die Brandenburger Katastrophe liegt aber nicht daran, dass die Genoss*innen Minister*innen persönlich boshaft oder dumm wären. Es gelang nicht, den Druck der – ohnehin relativ schwachen – sozialen Bewegungen als Transmissionsriemen in Regierungshandeln zu übersetzen. Dafür fehlen eine Strategie und das Verständnis, Bewegungsdruck nicht als Angriff auf sich zu begreifen, sondern auf den Gegner – auch in der Landesregierung! – umzuleiten und Fortschritte zu erkämpfen. Zum Glück gibt es auch in Brandenburg eine Reihe aktiver Genoss*innen, die ein Verständnis für das produktive Verhältnis zwischen Partei und Bewegung haben und in allen Bündnissen wichtige Kräfte waren. Wenn der Brandenburger LINKEN dieser Generationswechsel gelingt, kann sie in Zukunft wieder eine treibende progressive Rolle spielen.
Hessen zeigt, wie man Möglichkeitsfenster aus der Opposition nutzt
Die Frage, wie wir die Gesellschaft verändern, anstatt immer gegen eine Wand zu rennen, stellt sich nicht nur in Regierungen. Auch in der Opposition ist es die oberste Notwendigkeit, Möglichkeitsfenster für Veränderungen zu erkennen, zu öffnen und zu nutzen. Einer unserer größten Erfolge bleibt die Abschaffung der Studiengebühren. Der Erfolg ging 2008 von Hessen aus, als die Bewegung mit einer linken parlamentarischen Mehrheit zusammentraf, die gegen die geschäftsführende Regierung Koch arbeitete. In dieser Situation konnten Bewegung und DIE LINKE im Landtag Druck auf SPD und Grüne ausüben, um abseits von Koalitionsdisziplin eine parlamentarische Mehrheit für die Abschaffung zu erreichen. In der Folge musste jede Landesregierung, die an der Campusmaut festhielt, Angst haben abgewählt zu werden, sodass ein Land nach dem anderen wieder gebührenfrei wurde. Dieser Erfolg, der für Millionen Menschen eine spürbare Entlastung bedeutet, konnte nur gelingen, weil in Hessen 2008 kein stabiler Machtblock existierte und das Möglichkeitsfenster genutzt wurde.
Ob diese Möglichkeitsfenster entstehen, haben wir nur zu einem Teil selbst in der Hand. Dynamiken wie die Studiengebührenproteste oder »Fridays for Future« lassen sich nicht am Reißbrett entwerfen. Was wir können, ist zu analysieren, wo latente Konflikte in der Gesellschaft besonders stark sind, sie politisch vorantreiben und so an die Oberfläche holen. Ein Weg sind Bürger*innenbegehren wie bei dem von uns initiierten Frankfurter Mietentscheid.
Entscheidend ist nicht zuvorderst zu regieren oder zu opponieren. Linke Politik braucht Druck von Bewegungen, um im Parlament durchgesetzt zu werden, aber auch einen klugen parlamentarischen Arm, um den Druck umzusetzen und nicht gegen eine Wand zu laufen. Es ist dieses Übereinanderlappen günstiger politischer Konstellationen, welche die Möglichkeitsfenster öffnet.
Coda: Was heißt das für Bremen?
Ich will nicht so arrogant sein und so tun, als hätte ich genügend Detailkenntnisse der Bremer Politik, um den Genoss*innen exakte Vorschläge zu machen, doch ein paar Erfolgsbedingungen für das Regieren lassen sich ableiten. Die LINKE muss schauen, ob es ein Projekt gibt, dass in einem Konflikt durchgesetzt werden kann und ob es den Spielraum für den Konflikt gibt. Wenn sie das ehrlich mit Ja beantworten kann, soll sie in die Regierung gehen. Wenn nicht, sollte sie andere Wege suchen, etwa mit einem Volksbegehren eine Regierung mit wackligen Mehrheiten ohne gemeinsames Projekt vor sich herzutreiben. Auf jeden Fall muss sie Transmissionsriemen zu den Bewegungen festigen und nach zwei Jahren eine ehrliche Auswertung mit einer Exitoption aus der Regierung festschreiben, um institutionellen Druck zu haben. Die Angst muss auf der anderen Seite sein – und sei es nur vor dem Koalitionsbruch.
Jakob Migenda ist Mitglied im Landesvorstand von DIE LINKE. Hessen und aktiv im Bündnis Mietentscheid Frankfurt.
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