»Eine Schande für Europa!«

Rettungsschiff »Sea-Watch 3« legt im Hafen von Lampedusa an / Kapitänin Carola Rackete festgenommen

  • Lesedauer: 4 Min.

Lampedusa. Dramatisches Ende einer zweiwöchigen Irrfahrt: Das Flüchtlings-Rettungsschiff »Sea-Watch 3« hat in der Nacht zum Samstag ohne Zustimmung der italienischen Behörden im Hafen der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa angelegt. Die deutsche Kapitänin Carola Rackete wurde festgenommen und das Schiff beschlagnahmt, wie Italiens Innenminister Matteo Salvini mitteilte. Die 40 zuletzt an Bord verbliebenen Flüchtlinge durften an Land gehen.

Rackete hatte in der Nacht entschieden, das Schiff trotz Verbots in den Hafen einlaufen zu lassen. Ein Polizei-Schnellboot versuchte dies vergeblich zu verhindern. »Wir haben uns in den Weg gestellt (...), aber wenn wir dort geblieben wären, hätte (die 'Sea-Watch') das Schnellboot zerstört«, sagte ein Polizist.

Rackete gab in einem von der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch veröffentlichten Video an, sie habe lange auf eine Lösung gewartet. Eine solche habe sich jedoch nicht abgezeichnet, weshalb sie selbst entschieden habe, in den Hafen einzulaufen. »Die Situation war hoffnungslos. Und mein Ziel war es lediglich, erschöpfte und verzweifelte Menschen an Land zu bringen«, erklärte die 31-jährige Deutsche über ihre Anwälte in der italienischen Tageszeitung »Corriere della Sera«. »Ich hatte Angst.« Sie habe Suizide befürchtet.

Im Hafen versammelten sich Anwohner und Aktivisten. Einige jubelten, andere riefen: »Schande« und »Hau ab!« Rackete wurde von Polizisten abgeführt. Ihr wird Widerstand oder Gewalt gegen ein Kriegsschiff vorgeworfen. Italienischen Medienberichten zufolge drohen der 31-Jährigen bis zu zehn Jahre Haft. Zuvor hatte Rackete angegeben, sie wisse, was sie riskiere und sei bereit, für ihre Entscheidungen ins Gefängnis zu gehen.

»Mission erfüllt«, schrieb Innenminister Salvini von der rechtsradikalen Lega-Partei im Kurzbotschaftendienst Twitter. »Verbrecherische Kapitänin festgenommen, Piratenschiff beschlagnahmt, Höchststrafe für die ausländische Nichtregierungsorganisation.« Italiens Regierungschef Giuseppe Conte erklärte am Rande des G20-Gipfels in Osaka, er wolle sich nicht anstelle der Justiz setzen, die für die Anwendung des Gesetzes zuständig sei. »Aber die Gesetze existieren, ob wir wollen oder nicht.«

Sea Watch: Rackete hat das Seerecht eingehalten

Der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verurteilte die Festnahme der Kapitänin. Dies mache ihn »traurig und zornig«, erklärte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. »Eine junge Frau wird in einem europäischen Land verhaftet, weil sie Menschenleben gerettet hat und die geretteten Menschen sicher an Land bringen will. Eine Schande für Europa!« Sea-Watch-Geschäftsführer Johannes Bayer erklärte im Kurzmitteilungsdienst Twitter, die Kapitänin habe »genau das Richtige getan«. Rackete habe das Seerecht eingehalten und die Flüchtlinge in Sicherheit gebracht.

»Die Salvinis in der Regierungen begraben Europas Menschlichkeit im Mittelmeer, verhöhnen und kriminalisieren solche wie Carola Rackete die sich nicht mit dem Unvermögen eben dieser Regierenden abfinden. Das Schweigen der Bundesregierung ist entlarvend«, twitterte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch. Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli erklärte: »Carola Rackete wurde verhaftet, weil sie Menschenleben rettet. Deutschland hat jetzt Chance, der Welt zu zeigen, dass wir diese menschenverachtende Politik nicht mitmachen. Wir sollten jetzt alle von deutschen Schiffen Geretteten aufnehmen.« Unterstützung für »Sea Watch« gab es auch von den Grünen. »Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie gegenüber den italienischen Behörden deutlich macht, dass die Rettung von Menschenleben in Europa nicht als Verbrechen bestraft werden darf. Rackete hat als Kapitänin der Seawatch3 getan, was ethisch und auch rechtlich geboten war«, so Jan Philipp Albrecht, Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein.

Die Flüchtlinge verließen am frühen Morgen das Schiff. Einige von ihnen lächelten, andere weinten. Sie wurden anschließend in das Aufnahmelager auf Lampedusa gebracht.

Das Schiff hatte am 12. Juni insgesamt 53 Menschen vor der Küste Libyens von einem Schlauchboot gerettet. 13 von ihnen, darunter Frauen, Kranke und Kinder, waren in den vergangenen Tagen an Land gebracht worden.

EU-Staaten würden Geflüchtete aufnehmen

Fünf europäische Länder, darunter Deutschland, hatten am Freitag zugesagt, Flüchtlinge von Bord des Schiffes aufzunehmen. Dennoch hatte die italienische Regierung weiterhin keine Genehmigung zum Anlegen erteilt. Das italienische Innenministerium hatte erklärt, es warte auf »gesicherte Garantien«. Die Regierung in Rom fährt eine äußerst restriktive Flüchtlingspolitik und hat die italienischen Häfen für internationale Rettungsschiffe geschlossen. Dennoch kommen immer wieder Flüchtlinge dort an.

Seit Jahren streiten die EU-Länder über einen Mechanismus zur Verteilung der Bootsflüchtlinge. Eine Lösung ist trotz des erheblichen Drucks, den die populistische Regierung in Rom seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr in der Frage ausübt, nicht zu erkennen.

Seit 2014 sind mehr als 12.000 Menschen bei dem Versuch gestorben, von Libyen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Das UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR spricht deshalb von »der tödlichsten Meeresüberquerung der Welt«. Agenturen/nd

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