Kondomkontrolle mit der Taschenlampe

Sexarbeiterin Charlie Hansen erklärt, warum das Prostituiertenschutzgesetz komplett gescheitert ist

  • Lotte Laloire
  • Lesedauer: 7 Min.

Frau Hansen, mögen Sie Ihren Job?

Ja, für mich ist das eine der schönsten Arbeiten - und ich habe echt schon viel gemacht: Verkaufen, Unterrichten, Zeitarbeit. Seit fünf Jahren mache ich Escort, mittlerweile zusätzlich zu meiner Halbtagsstelle beim BesD. Ich schätze die nahe Zusammenarbeit mit Menschen sehr, die Begegnungen, die Vielfalt und die Einblicke, die sie mir in ihr Leben gewähren.

Zur Person

Charlie Hansen ist Sexarbeiterin und Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). Sie nutzt beruflich diesen Decknamen, weil sie nicht in allen Lebensbereichen »geoutet« ist und viele Menschen Sexarbeit noch immer nicht als normalen Beruf akzeptieren. 

Haben Sie auch Sex?

Natürlich. Das ist Kern meiner Dienstleistung, auch wenn drum herum noch viel mehr passiert. In 99 Prozent der Dates ist auch in irgendeiner Form Sex dabei. Nicht immer Penetration oder das, was sich die meisten Menschen unter Sex vorstellen. Es ist vielfältiger. Kunden haben oft auch gewisse Probleme mit ihrer Sexualität, weshalb sie gerne jemand Professionellen haben wollen.

Ist da nicht gerade eine vertraute Beziehung besser?

Viele Männer im höheren Alter haben Erektionsprobleme. Das wäre ihnen mit einer privaten Partnerin vielleicht peinlich. Mit einer Dienstleisterin ist es für sie teilweise entspannter, auch weil wir Erfahrung haben, mit so etwas adäquat umzugehen und gemeinsam andere Möglichkeiten zu erkunden, wie man auch ohne Erektion noch schön Sex haben kann.

Haben Sie einen Zuhälter?

Den typischen Zuhälter-Begriff finde ich schwierig. Das war mal ein Rechtsbegriff, der fast alle im Umfeld von Sexworkern kriminalisiert hat. Jede Unterstützung für sie galt als Zuhälterei, selbst der Partner, der einen zum Date fährt. Somit wäre meine Agentur früher wahrscheinlich der Zuhälterei bezichtigt worden. An die habe ich das Marketing, Kundenscreening und alles ausgelagert, damit ich Zeit für meine politische Arbeit habe. Ich bekomme von denen gemäß meiner Terminvorgaben Angebote für Dates. Davon nehme ich ungefähr zwei Drittel an, ein Drittel lehne ich ab ...

... wenn die Kunden hässlich sind?

Nee, ich bekomme nur minimale Daten, also wann und wo man sich trifft, einen Namen, manchmal noch Alter, Nationalität, besondere Wünsche, zum Beispiel an mein Outfit. Letzteres ist für mich meist der Grund abzulehnen. Es gibt da die Kategorien »sexy«, »casual« und »business«. Casual, also eben der Mädchen-von-Nebenan-Stil, ist okay. Aber wenn eine Anfrage kommt, wo ich weiß, oh Gott, jetzt muss ich da mit Highheels durch die U-Bahn stöckeln oder extra ein Taxi rufen, dann ist mir das oft zu viel und ich sage: »Nee, mach ich nicht.« Da bin ich ein bisschen faul.

Seit zwei Jahren ist das Prostituiertenschutzgesetz (ProSchG) in Kraft. Seitdem brauchen Bordelle Erlaubnisse, Sexworker müssen sich anmelden, einen Ausweis mit Foto bei sich tragen, Steuererklärungen abgeben und sich gesundheitlich beraten lassen. Wie finden Sie das?

Die guten Seiten daran suchen wir noch. Das Schlechte fängt damit an, dass das Gesetz superkomplex ist. Die behördlichen Abläufe, die da implementiert wurden, sind nicht nur für die Sexworker - vor allem für diejenigen mit Sprachbarriere - sondern auch für die Behördenmitarbeiter eine riesige Herausforderung. Im Föderalismus handhaben die Länder es zudem sehr unterschiedlich. Die meisten haben die Bestimmungen nicht fristgerecht umgesetzt, was für viele Kolleginnen Arbeitsausfälle und Stress bedeutet hat, weil sie sich neuerdings anmelden mussten, was praktisch aber noch nicht möglich war.

Immerhin die Kondompflicht ist doch sinnvoll, oder?

Das hört sich im ersten Moment gut an. Einige Kolleginnen begrüßen das auch, weil sie jetzt mehr in der Hand haben, um gegen Kunden argumentieren zu können, die kein Kondom wollen. Allerdings gibt es zwei große Probleme: Erstens kann man das nur kontrollieren, indem man massiv in die Privatsphäre eingreift, zum Beispiel in Bayern wird das gemacht. Die Polizei oder das Ordnungsamt stürmen dann in Arbeitszimmer, während der Kunde da ist. Gäste und Sexworker werden auseinandergerissen und dann gucken die Behördenmitarbeiter mit der Taschenlampe, ob ein Kondom auf dem Penis ist. Das sind Methoden, die gehen einfach nicht.

Was ist das andere Problem?

Zweitens drängen die Kunden, die es unbedingt ohne Kondom wollen, jetzt noch stärker in den prekären Bereich. Das heißt zu Sexworkern, die unangemeldet arbeiten. Das ProSchG schließt sie von allen legalen Arbeitsplätzen aus und drängt sie in Graubereiche, wo sie, etwa gegen solche Kunden, kaum Verhandlungsmacht haben. Sie haben auch weniger Zugang zu Beratung, Unterstützung und Recht. Übrigens ist die Forderung, Sexworker sollten Kondome benutzen, stigmatisierend. Die Raten von Geschlechtskrankheiten sind bei Sexworkern nur unwesentlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Die Mehrheit nutzt flächendeckend Kondome. Sie wollen schließlich nachhaltig arbeiten. Und wenn man krank ist, kann man kein Geld verdienen, das ist ja logisch.

Wie haben sich die anderen Vorschriften des Gesetzes ausgewirkt?

Viele Kleinbetriebe konnten nicht fortbestehen. Das waren häufig Betriebe, die Sexworker selbst führen, also wo zwei, drei Kolleginnen zusammen eine kleine Terminwohnung oder ein Studio eingerichtet hatten. Auch das Baurecht und andere Auflagen sind für solche Kleinbetriebe oft einfach nicht umsetzbar. Unsere Arbeitsplatzstruktur hat sich deshalb massiv geändert. Viele von uns arbeiten jetzt isolierter als vorher.

Sexworker müssen regelmäßig zu Pflichtberatungen. Hilft das?

Auch das wurde von Anfang an kritisiert, etwa von der Deutschen Aidshilfe, dem Deutschen Juristinnenbund, der STI-Gesellschaft. Einfach alle, die mit Sexworkern Erfahrung hatten, haben gesagt, das ist totaler Schwachsinn.

Kann Beratung Schwachsinn sein?

Ja, weil man niemanden zwangsberaten kann. Die Lehre aus der Aids-Epidemie ist: Beratung sollte freiwillig, anonym und im besten Falle kostenlos sein. Das haben die Gesundheitsämter in einem anderen Themenfeld, dem Infektionsschutzgesetz, besser umgesetzt. Da gibt es heute Tests auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten. Das funktioniert gut, und da nehmen auch unsere migrantischen Kolleginnen die Beratung gerne an. In Hamburg setzt etwa das »Casablanca«, eine Unterstelle des Gesundheitsamts, das Infektionsschutzgesetz vorbildlich um. Die bieten Beratungen jeden Tag in einer anderen Sprache an. Da ist das Wartezimmer, je nach Wochentag, voll mit bulgarischen, rumänischen, thailändischen Sexworkern. Die vertrauen dort darauf, dass sie sich anonym testen lassen können.

Was ist für Migrant*innen in Ihrer Branche besonders wichtig?

Gerade die migrantischen Kolleginnen machen sich irrsinnige Sorgen, dass etwas über ihre Arbeit in ihre Herkunftsländer gelangt, weil Prostitution dort teilweise illegal ist. Doch durch Akten von Finanzämtern, in denen der Beruf eingetragen war, soll das schon vorgekommen sein.

Das heißt, heute sind bestimmte Personen gefährdeter als früher?

Ja, das ProSchG argumentiert zwar mit einem Schutzgedanken, den es faktisch gar nicht erfüllen kann. Die zwei Beratungen, die es vorschreibt, sind sehr aufwendig. Aber alle, die mit Menschenhandel und Ausbeutung zu tun hatten, sagen: Nach zwei Beratungen outet sich keine Betroffene. Denn diese Menschen befinden sich in weitaus komplexeren Situationen. Da kommt nicht einfach ein Sklavenhändler, der eine Frau verkauft, sondern da gibt es oft auch private Verflechtungen, so dass die Person sich auf dem Amt nicht einfach hinstellt und sagt: »Hey, ich bin übrigens Sexworker.« Im Ernst: Fachberatungsstellen kritisieren, dass mit zwei Gesprächen keine Ausbeutungs- und Zwangssituationen aufgedeckt und beendet werden können.

Die Bundesregierung will das Gesetz erst 2022 evaluieren. Ist das angesichts der Kritik nicht etwas spät?

Eigentlich ist es egal. Mit dem niedrigen Budget, das dafür festgelegt wurde, wird man keine ordentliche Auswertung hinbekommen. Der Gesetzesentwurf setzt knapp 33 000 Euro für die bundesweite Evaluation einer hochstigmatisierten Branche an. Das ist lachhaft. Letztlich braucht man das alles sowieso nicht, weil die Auswirkungen längst offensichtlich sind. Das Gesetz ist gescheitert. Das sagen auch Behördenmitarbeiter und Anwälte, die sich damit herumquälen müssen.

Und jetzt?

Wir fordern die Abschaffung des ProSchG. Und nicht nur das. Wir sind auch gegen ein Sexkauf-Verbot, gegen sämtliche Sperrgebietsverordnungen, Kontaktverbotsverordnungen und Sonderbesteuerungsmodellen, für die es keine Rechtsgrundlage gibt. Sondergesetze für Sexarbeit schaden meist den Sexarbeiterinnen selbst. Gegen Arbeitsausbeutung, Vergewaltigung und alle anderen Missstände in unserer Gesellschaft gibt es bereits Gesetze.

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