- Politik
- Sea-Watch 3
Heuchelei
Fabian Hillebrand über die Festnahme von Carola Rackete
Die Liste der Politiker, die ihre Solidarität mit Carola Rackete ausdrücken, ist so lang wie die realen Konsequenzen dieser Bekundungen mager sein werden. Jean Asselborn, Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas stehen auf dieser Liste. So laut sie jetzt schreien, so leise gebärdeten sie sich vorher: Mehr als zwei Wochen dümpelte die »Sea-Watch 3« mit 52 Geflüchteten an Bord auf dem Meer. Kein europäisches Land tat sich dabei hervor, das Patt zwischen Matteo Salvini und Rackete aufzulösen. Tagelang beschimpfte der an Land als »Il Capitano« gefeierte Populist die echte Kapitänin. Widerspruchslos. Jetzt hat er sie festnehmen lassen. Und Rackete wird zur Heldin deutscher Politiker.
Der hitzköpfige Italo-Macho gegen die kühle und entschlossene Kapitänin aus dem Norden. Das ist eine verlockende Projektion. Sie ist trügerisch. Denn die Tragödie auf dem Mittelmeer, deren jüngster Akt mit der Festnahme Racketes aufgeführt wird, ist in Berlin und Brüssel mitgedichtet worden. Dort wurde eine Politik der »Abschreckung« vorangebracht. Eine Idee so abgründig und roh, man muss ihren Apologeten fragen: Wie viele Tote braucht es für eine wirksame Abschreckung? 589 Menschen im Jahr? So viele sind 2019 bereits im Mittelmeer ertrunken. Oder müssen es Tausende sein, bevor Menschen aufhören, ihrem Leid zu entfliehen?
»Menschenleben zu retten ist eine humanitäre Verpflichtung«, twittert Heiko Maas nun. In Wahrheit steht er einer Behörde vor, die mit Deals mit libyschen Milizen alles dafür getan hat, das Sterben auf dem Mittelmeer so leise wie möglich vonstatten gehen zu lassen. Im Grunde ist es so: Maas und Konsorten ziehen sich gerne blaue Europa-Hoodies an und zeigen auf Salvini und Orbán. Mögen sie diese auch ehrlich unansehnlich finden, so lassen sie doch gerne von anderen die Drecksarbeit machen.
Rackete könnte nun für zehn Jahre in Haft gehen. Sie braucht den falschen Applaus nicht. »Sie handelte strikt nach humanitären Grundsätzen«, sagt Ruben Neugebauer. Dem ist nichts hinzuzufügen - außer einem schnellen Freispruch.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!