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Premiere und Neuanfang in Bremen
Die erste rot-grün-rote Landesregierung im Westen sucht nach Sieling-Rückzug einen Chef
Die bekanntesten Bremer feiern in dieser Woche Jubiläum: Die Stadtmusikanten werden 200 Jahre alt. Am 3. Juli 1819 hatten die Grimm-Brüder in der zweiten Auflage ihrer Sammlung von Kinder- und Hausmärchen die Erzählung der »Bremer Stadtmusikanten« erstmals veröffentlicht. Politisch betritt das Bundesland - als erstes zumindest im Westen - hingegen unbekanntes Terrain: mit einer rot-grün-roten Landesregierung.
Schon die Landtagswahlen vor gut einem Monat hatten Neues gebracht für die Hansestadt. Zum ersten Mal überhaupt konnte die CDU stärkste Partei (26,7 Prozent) werden und die dauerregierenden Sozialdemokraten knapp (24,9 Prozent) auf Platz zwei verweisen. Nur an den Grünen, die sich gegen eine Jamaika-Koalition entschieden, scheiterte letztendlich, dass Bremen einen Bürgermeister mit CDU-Parteibuch erhält.
So wird die Wahlverliererin SPD durch die in der Nacht zum Montag erzielte Einigung auf eine Koalition mit Grünen und Linkspartei auch weiterhin den Regierungschef stellen. Allerdings ohne den sozialdemokratischen Wahlverlierer und Amtsinhaber Carsten Sieling, der am Montag noch vor der Präsentation des Koalitionsvertrages erklärte, »für das Amt des Bürgermeisters und Präsidenten des Senats nicht erneut zur Verfügung zu stehen.«
Sein »persönlicher Anspruch an die Ausübung staats- und parteipolitischer Ämter« sei es immer gewesen, »vor der Verantwortung für dieses Land und für meine Partei nicht wegzulaufen«, so Sieling. »Nach der historischen Niederlage der SPD bei der Bürgerschaftswahl am 26. Mai und der massiven Verunsicherung in meiner Partei habe ich deshalb die Entscheidung getroffen, weiter Verantwortung zu übernehmen.« Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen sei nun der Zeitpunkt gekommen, »den notwendigen Neuaufbruch einzuleiten«.
Dafür brauche es »eine personelle Neuaufstellung an der Spitze des Senats, die schon heute die gesamte Legislaturperiode bis hin zur nächsten Bürgerschaftswahl in den Blick nimmt.« Dafür wolle er »den Weg freimachen«, so Sieling. Um das schon vor der Wahl angestrebte »progressive Mitte-Links-Bündnis für dieses Land zum Tragen zu bringen«, habe er alles in seiner Macht Stehende getan. Aus Sielings Sicht mit Erfolg: »Der Blick auf den nun erfolgreich ausgehandelten Koalitionsvertrag zeigt: Es hat sich gelohnt!«
In der Nacht zu Montag hatten die Unterhändler von SPD, Grünen und der LINKEN den erfolgreichen Abschluss der seit 12. Juni weitestgehend geräuschlos gelaufenen Gespräche verkündet. Am Montag folgten - nach Sielings Rückzugserklärung - die Details. Demnach behält die SPD den Posten des Präsidenten des Senats, der auch Bürgermeister ist und damit die Position des Ministerpräsidenten übernimmt. Auch das Innen- sowie das Bildungs- und Wissenschaftsressort sowie der Bereich Häfen und Justiz werden künftig von der SPD geführt. Die Grünen erhalten die drei Senatsposten für Umwelt, Bau und Verkehr sowie für Finanzen und für Soziales, Jugend, Integration und Sport. Die Linkspartei bekommt die beiden Ressorts Wirtschaft, Arbeit und Europa sowie Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz.
Für SPD-Landeschefin Sascha Aulepp ist dies ein »Aufbruch«, Grünen-Landeschefin Alexandra Werwath spricht von einem »neuen Kapitel« und LINKE-Chefin Cornelia Barth sieht einen »grundlegenden Richtungswechsel«. Schwerpunkte der Regierungsarbeit werden etwa Verbesserungen im Bildungsbereich, der Kampf gegen den Klimawandel und für bezahlbaren Wohnraum sein.
Aufgrund der schwierigen Finanzlage könne vieles aber nur schrittweise umgesetzt werden, hieß es. Vorgenommen hat sich die Koalition unter anderem die Schaffung neuer Kita-Plätze, mehr Geld für Schulen auszugeben und den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2023. Bis dahin sollen auch 10.000 neue Wohnungen entstehen und die Zahl der Sozialwohnungen wieder gesteigert werden. Der öffentliche Personennahverkehr wird ausgebaut, und die Möglichkeiten zur Einführung eines kostenfreien ÖPNV sollen ausgelotet werden. Der Vertrag umfasst rund 140 Seiten und 26 Unterkapitel plus Präambel.
Die LINKE will am Donnerstag, Sozialdemokraten und Grüne werden am kommenden Samstag auf Parteitagen über die Koalition entscheiden. Bei der Linkspartei ist zudem ein Mitgliederentscheid geplant, dessen Ergebnis Ende Juli vorliegen soll. Die neue Landesregierung kann deshalb erst nach der parlamentarischen Sommerpause in der Bürgerschaft gewählt werden. Deren konstituierende Sitzung ist bereits am Mittwoch. Mit Agenturen
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