Musik zeichnen, Bilder vertonen

Die Symbiose von Musik und Comic ist auch eine Befreiungsgeschichte der Genres.

  • Jonas Engelmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Wie durch Zauberhand«, schreiben Hervé Bourhis und Brüno im Vorwort ihres Sachcomics »Black & Proud. Vom Blues zum Rap«, »fügt sich in einer musikalischen und visuellen Entwicklung die Geschichte der langsamen und bis heute unvollendeten Emanzipation eines Volkes zusammen.«

Diese Emanzipationsgeschichte der Afroamerikaner findet starken Widerhall in der Musik von Blues bis HipHop, wo Unterdrückung und Befreiung immer wieder Themen waren: von Billie Holidays »Strange Fruit« über Sly & the Family Stone mit »There’s A Riot Going On« bis zu Kendrick Lamars »To Pimp A Butterfly«. Hervé und Brüno Bourhis haben diese Geschichte von 1945 bis 2015 nachgezeichnet und überführen für jedes Jahr das zentrale Album der »Black Music« - gepaart mit Fakten und allerlei Anekdoten zur afroamerikanischen Emanzipationsgeschichte - in eine Comicwelt, in der auch Bobby Womack, Michael Jackson oder James Brown Auftritte als Comicfiguren haben. In der Tat lässt sich anhand der Auswahl der Künstler und der auf den Albumcovern basierenden visuellen Gestaltung von »Black & Proud« eine afroamerikanische Geschichte nachvollziehen, die klare Ästhetik der beiden französischen Comiczeichner verschmilzt mit den ästhetischen Ansätzen aus sechzig Jahren »Black Music«.

Immer wieder sind Comics und Musik in unterschiedlichster Weise in Verbindung getreten. Seine »extremste Version von Punk als einer Kraft, die das Leben verändern kann«, das autobiografisch inspirierte Prosastück »Ich bin ein Klischee«, habe er, so erinnert sich etwa der Musikjournalist und Punkbiograf Greil Marcus, 1985 in »RAW« veröffentlichen können, dem Comic-Magazin von Françoise Mouly und Art Spiegelman. Punk und Undergroundcomics hatten zu diesem Zeitpunkt bereits ein langes Stück Weg gemeinsam zurückgelegt, die musikalische Subkultur mit ihren zahlreichen in Eigenregie veröffentlichten Tonträgern und kopierten Fanzines hatte nicht nur den New Yorker Zeichner Spiegelman dazu inspiriert, ein eigenes, selbstverlegtes Magazin zu publizieren, sondern auch an der Westküste der USA zahlreiche punkaffine Künstler in den 70ern und frühen 80ern zu DIY-Verlegern gemacht, von Raymond Pettibon über die Brüder Hernandez bis zu Gary Panter und dem späteren Schöpfer der weltbekannten Serie »Die Simp-sons«, Matt Groening.

Doch auch jenseits des Zusammentreffens ähnlicher ästhetischer Vorstellungen in Punk und Undergroundcomic, bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Comics und Musik. So sieht der US-amerikanische Comiczeichner Chris Ware einen Zusammenhang zwischen dem Erschaffen von Musik und von Comics: »Ragtime ist komponierte Musik und Comics sind komponierte Kunst«, erklärt er. Musik wie Comics definieren sich, so Ware, durch das zeitliche Verhältnis ihrer Einzelelemente, der Noten beziehungsweise Panels, also der Einzelbilder des Comics. Der 1967 geborene Zeichner ist nebenbei Musiker und Herausgeber des Musikmagazins »The Ragtime Ephemeralist«, vielen seiner Comics merkt man in den ausgefeilten Arrangements und Seitenkompositionen die »musikalische« Herangehensweise ihres Zeichners an. »Musikpartituren sind zeitgebundene Kunstwerke, die von Musikern interpretiert und von Zuhörern erlebt werden. Comics sind stille sequenzielle Kunstwerke, die von Lesern durch Vorstellungskraft interpretiert und gleichzeitig erlebt werden, und dadurch zu einer sehr persönlichen Zeitkunst werden«, präzisiert der Pianist Itay Dvori gegenüber dieser Zeitung die Idee von Chris Ware. Der in Berlin lebende israelische Komponist blickt als Musiker auf den Comic und arbeitet seit einigen Jahren daran, die Grenzen zwischen den beiden künstlerischen Welten einzureißen. Sein Rezept: Comic-Konzerte.

»Die zum Teil komponierten und zum Teil improvisierten Vertonungen verknüpfen sich mit den gleichzeitig projizierten Bildern und Texten der Comics und Graphic Novels für den Zuschauer und Zuhörer zu einem synästhetischen Erlebnis«, erklärt er das Konzept im Netz. Im Gespräch ergänzt er: »Ich vertone die Bilder. Vor allem aber die Leerstellen zwischen ihnen. Es ist eine Art Interpretation, kompositorisch und in meinen Konzerten oft auch improvisatorisch.«

Zwischen den Extremen - hier Punk und Underground-Comic, dort Jazz und Graphic Novel für ein Theaterpublikum - finden sich zahlreiche Symbiosen von Comic und Musik, die jede für sich individuelle Zugänge sucht. Seien es die Comiczeichnungen auf Plattencovern von Yo La Tengo, den Eels oder Iggy Pop, die zahlreichen Comicbiografien über Musiker von den Ramones bis Serge Gainsbourg oder Bands wie die Gorillaz, die sich konsequent als animierte Comiccharaktere präsentieren.

»Ich habe mich der Musik immer als Künstler angenähert, habe Muster entworfen«, erklärt der heute als Comiczeichner bekannte Richard McGuire, der in den frühen 1980ern in diversen Formationen der New Yorker Undergroundmusikszene aktiv war. Zwanzig Jahre später hat der Antifolk-Musiker Jeffrey Lewis diese Tradition fortgeführt. Der Comiczeichner hatte sich kurz vor der Jahrtausendwende als Musiker neu erfunden, um von der Konzertbühne herab seine Comics zu präsentieren. »Complete History of Communism« oder »Cuban Missile Crisis« waren diese Comicpräsentationen zu Musik betitelt, als Tonträger veröffentlicht wurden diese Projekte allerdings nicht, sie waren einzig als Live-Erlebnis konzipiert: Großformatige Comicseiten wurden vom Künstler in die Höhe gehalten, während er in nuscheligem Gesang die Stories dazu erzählte. Ebenfalls in den Nullerjahren hat die 2016 verstorbene kanadische Comiczeichnerin Geneviève Castrée an dem Versuch gearbeitet, ihre Comicarbeiten und den düsteren Indiefolk ihrer Musikprojekte zu einer Symbiose zu bringen, ein Ergebnis war das 2007 veröffentlichte Album »Tout Seul Dans La Forêt En Plein Jour, Avez-Vous Peur?«, das in Musik, Bild und Text von Ängsten und Verletzungen erzählt.

Inspiriert von zeichnenden Musikern wie Lewis und Castrée arbeitet derzeit ein Projekt aus Berlin und Amsterdam an der Überwindung der Grenzen zwischen Musik und Comic. Das Duo Ghost Bag besteht aus der Comiczeichnerin Tine Fetz und dem Musiker Nick Jongen. Fetz erklärt im Gespräch die Entstehung: »Das Projekt begann mit einer alten Illustration von mir, die ich rumliegen hatte und die ich Nick geschickt habe. Er hat sich die Zeichnung sehr lange angeschaut und dann am gleichen Abend den Song ›New Heart‹ geschrieben. Das hat sich nach kurzer Zeit zu einem intensiven Dialog entwickelt, der immer persönlicher wurde.«

Das so entstandene Album ist ein Dialog zwischen Bild und Musik, das live auch so präsentiert wird: Die an die Wand projizierten Zeichnungen bestimmen das Geschehen, die Zeichnerin wird zur Mitmusikerin auf der Bühne - und zur Dialogpartnerin des Musikers. Fetz erklärt: »Mit den Illustrationen habe ich manchmal mehr auf die Musik, manchmal mehr auf den Text reagiert. Den dronigen Sound von ›Exile‹ habe ich z.B. in zwei Spiralgalaxien übersetzt und gleichzeitig im zweiten Teil der Illustration die Intimität der Lyrics beantwortet.« Auf dem so entstandenen Album stehen Zeichnung, Musik und Songtext gleichwertig nebeneinander in einer »Ghostly World« - wie sie einer der ruhig instrumentierten, warmen Indiefolk-Songs beschwört - in der sich die drei Ebenen im Kopf der Hörer miteinander verschränken.

Auch Dvori betont die Rolle des Publikums bei seinen Comic-Konzerten: »Meine Musik strebt an, nicht untermalend zu sein, sondern wird auf Augenhöhe mit den Bildern positioniert. Es ist keine Lesung mit Musik, sondern ein Konzert. In manchen Momenten dominiert die Musik, dann begleitet sie, dann führt sie wieder. Sie versucht, die Prozesse, die im Hirn des Lesers passieren, zu unterstützen, eine abstrakte ›Live-Animation‹ der Bilder zu sein.«

Die Zwischenräume der Einzelbilder im Comic, die Gespensterwelt des nicht Greifbaren, das sich nur in den Köpfen der Rezipienten abspielt, rückt in den Mittelpunkt. Das Einreißen der Grenzen zwischen den künstlerischen Bereichen hat also auch das Einreißen der Grenzen zwischen Künstlergenie und Rezipient zur Folge. Eine Befreiungsgeschichte ganz im Sinne der afroamerikanischen Emanzipation oder des DIY-Gedankens von Punk. Und eine Ästhetik, die als Projektion im Kopf des Publikums nur schwer letztgültig definieren ist. Aber Dvori ist ohnehin überzeugt: »Definitionen sind gefährlich.«

Hervé und Brüno Bourhis: Black & Proud. Vom Blues zum Rap. avant-Verlag, 176 S., geb., 30 € / Ghost Bag & Tine Fetz S/T, Vinyl LP, ca. 23 €.

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