Der lila Fixstern

Megan Rapinoe dominierte die WM. Sportlich ebenso wie politisch

  • Frank Hellmann, Lyon
  • Lesedauer: 4 Min.

Am letzten Tag ihrer traumhaften Frankreich-Reise hat Megan Rapinoe einen letzten Blick auf den goldenen Altar und die Jesus-Statue werfen können, der den Gästen im Hotel Fourvière beim Auschecken begegnet, wenn ihre Schlüssel in bunten Kästen verschwinden. Auf dem gleichnamigen Hügel von Lyon hat der Baumeister Pierre Bossan im 19. Jahrhundert nicht nur die prächtige Notre-Dame, sondern auch jene prunkvolle Residenz erschaffen, von dem die US-amerikanische Frauen-Nationalmannschaft als alter und neuer Weltmeister am Montag die Rückreise nach New York angetreten hat. Wie der französische Architekt mit seinen Bauwerken hat auch die amerikanische Fußballerin mit ihren Statements in Lyon ein Vermächtnis hinterlassen.

»Unser Team ist gerade mittendrin, die Welt um sich herum zu verändern. Das ist ein großartiges Gefühl«, sagte die 34-Jährige. Noch bevor die Siegerehrung startete, brüllte ein Großteil der 57.900 Zuschauer im Stade de Lyon lautstark »equal pay, equal pay«. Das massenhafte Verlangen nach gleicher Bezahlung von Männern und Frauen diente als finaler Beleg, dass die Spielführerin der USA nach dem Endspiel gegen die Niederlande (2:0) mehr gewonnen hatte als den Goldpokal, den Goldenen Ball als beste Spielerin oder Goldenen Schuh als beste Torschützin. Gleichberechtigung bedeutet ihr mehr als jede Auszeichnung. »Jeder ist bereit für das Gespräch über die Gleichstellung der Frau, um die nächsten Schritte zu machen«, erklärte Rapinoe, die um Unterstützung für »Frauenprogramme auf der ganzen Welt« bat. Denn: »Jede Spielerin bei dieser WM hat die unglaublichste Show gezeigt, die man sich jemals wünschen konnte. Es ist Zeit, das Gespräch voranzutreiben.« Sie will jetzt Konversation statt Konfrontation.

Der amerikanische Fußballverband (USSF) hat trotz der ausstehenden Klage seiner Frauen gegen die schlechtere Bezahlung die Vorkämpferin nie versteckt. Press Officer Aaron Heifetz klatschte die Protagonistin für den »wandelnden Protest« (Rapinoe) am Ende sogar ab, wenn sie ihre Botschaften platziert hatte. War das Team USA irgendwann mal als eigener Planet bezeichnet worden, dann stieg die Aktivistin vom linken Flügel zum rosa Fixstern auf. Die mit der Basketballspielerin Sue Bird zusammen lebende Flügelspielerin übernahm die Deutungshoheit von der mit dem Fußballer Servando Carrasco verheirateten Mittelstürmerin Alex Morgan, die gerne mit ihren weiblichen Reizen spielt. Nach dem Finalsieg twitterte Rapinoe zu einem Bild mit Ersatztorhüterin Ashlyn Harris und der ehemaligen Bundesligaspielerin Alex Krieger: »Wir haben bereits darüber gesprochen. Wissenschaft ist Wissenschaft. Homosexuelle regieren.«

Noch nie ist es bei einer Fußball-Weltmeisterschaft einem Mann oder einer Frau gelungen, sportliche, gesellschaftliche und politische Statements derart kraftvoll verknüpfen. Und sie hat auf ihre Art den US-Präsidenten Donald Trump als auch den Fifa-Präsidenten Gianni Infantino ausgedribbelt. Als Trump die Ikone attackierte, weil nicht in das beschissene (»fucking«) Weiße Haus gehen wolle, bedauerte sie nur den Kraftausdruck. Wegen ihrer Mutter. Als Infantino tönte, endlich viel Geld für die Förderung des Frauenfußballs in die Hand zu nehmen und das Preisgeld zu verdoppeln, rechnete sie vor, dass die Lücke zu den Männern nur noch größer werde, denen bald eine WM in Katar ermöglicht werde. Trump konnte nach dem vierten Stern gar nicht anders, als dem US-Team zu gratulieren (»Amerika ist stolz auf euch alle!«); Infantino hatte zuvor beigegeben (»jede Spielerin ist frei«), obwohl der Weltverband Akteuren eigentlich keine politischen Meinungsäußerungen duldet.

Eine Frau muss sich so etwas nicht nur trauen, sondern auch schaffen. »Megan ist dafür gemacht. Umso größer der Druck ist, desto besser wird sie«, sagte Trainerin Jill Ellis. Doch so leicht es am Ende aussah, war es am Anfang nicht: Wer Rapinoes angespannten Gesichtszüge vor dem Auftakt gegen Thailand (13:0) in Reims in Erinnerung hat, kann ahnen, was sie aushalten musste. Nahe der berühmten Kathedrale sahen abseits von Amerika viele erstmals, dass sich die Anführerin der Mission Titelverteidigung »The Star-Spangled Banner«, der offiziellen Nationalhymne, verweigerte. Dabei ist ihre Familie gar nicht unpatriotisch: Ihr Vater war im Vietnam-Krieg, ihr Großvater im Zweiten Weltkrieg. Sie ist aufgewachsen im konservativen Norden Kaliforniens, in einer christlichen Familie mit Geschwistern, geprägt davon, anderen Menschen nicht voreingenommen zu begegnen, wenn sie eine andere Hautfarbe oder eine andere sexuelle Orientierung haben.

Die 158-fache Nationalspielerin hätte nicht so viel Aufmerksamkeit erzeugt, wenn sie auf dem Platz den Worten keine Taten hätte folgen lassen. Während die »Queen« Morgan abtauchte, verwandelte die »Fighterin« Rapinoe im Achtelfinale gegen Spanien (2:1) zwei Elfmeter, zog die Mannschaft mit einem Doppelpack gegen Frankreich (2:1) durchs Viertelfinale. Irgendwann bewegte sie sich traumwandlerisch sicher auf dem Hochseil durch die WM, dass für niemand mehr Absturzgefahr bestand. Ohne die angeschlagene Anführerin riefen ihre Kolleginnen im Halbfinale gegen England (2:1) sogar die beste Leistung ab. Rapinoe kehrte wie selbstverständlich ins Team zum Finale zurück, das sie als »Spielerin des Spiels« entließ. Dass die Nummer 15 hernach zur Dopingprobe ausgelost wurde, hat sie nicht davon abgehalten, später noch zur Pressekonferenz zu kommen. Während das Herz von Pierre Bossan längst in der Basilika hinter Marmor ruht, wollte Megan Rapinoe in Lyon noch über eine Herzensangelegenheit reden.

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