- Politik
- Ukraine-EU-Gipfel
USA mit an den Tisch
Beim Ukraine-EU-Gipfel bietet Präsident Selenskyj Russland neue Friedensverhandlungen an
Der 21. Ukraine-EU-Gipfel begann mit einem Paukenschlag. Die ukrainische Vizepremierministerin für europäische Integration Iwanna Klympusch-Zynzadse durfte am Montag nicht an dem Treffen im Kiewer Marienpalast teilnehmen. Als enge Mitstreiterin des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko und prominente Kandidatin seiner Partei »Europäische Solidarität« in der kommenden Parlamentswahl am 21. Juli dürfte sie nicht zu den Lieblingsregierungsmitgliedern des neuen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gehören.
Die Ukraine steht kurz vor den Parlamentswahlen, die die innenpolitische Karten neu mischen werden, und auch die EU-Spitze um Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und Ratschef Donald Tusk scheidet bald aus ihren Ämtern. Daher war es für die Selenskyj-Regierung keine Option, das lang vereinbarte Treffen zu verlegen.
Zumal ein bestimmtes Thema das politische Kiew derzeit besonders beschäftigt. Die vor kurzem erfolgte Rückkehr Russlands in den Europarat wurde stark von Deutschland und Frankreich vorangetrieben, sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch der französische Präsident Emanuel Macron hatten sich eindeutig dafür ausgesprochen. Der russischen Delegation war das Stimmrecht in der Parlamentarischen Versammlung wegen der Krim-Annexion entzogen worden - und weder in Sachen Krim noch mit Blick auf den Krieg in der Ostukraine, wo nach UN-Angaben inzwischen 13 000 Todesopfer zu beklagen sind, gibt es von russischer Seite Fortschritte.
So war es alles andere als eine Überraschung, dass Selenskyj bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Tusk und Juncker ausgerechnet dieses Thema als Erstes ansprach. Am Vortag besuche der 41-Jährige zusammen mit Tusk Stanyzja Luhanska, eine Kleinstadt an der Front, wo bereits 2016 der gemeinsame Truppenabzug vereinbart wurde. Die OSZE-Beobachtermission hat neulich bestätigt, dass die ukrainische Seite ihren Teil der Vereinbarung erfüllt hat, nun wartet man auf entsprechende Schritte der prorussischen Separatisten.
»Schade, dass Vertreter einiger Delegationen der Parlamentarischen Versammlung nicht zusammen mit uns vor Ort waren«, betonte Selenskyj. »Alle, die am Sinn der Verlängerung der Russland-Sanktionen zweifeln, sollten selbst in den Donbass fahren und sich anschauen, wie viel Leid dieser Krieg brachte. Sanktionen ist aber nicht mein Lieblingswort, das ist Frieden.«
Donald Tusk verwies darauf, dass die EU ihre Wirtschaftssanktionen gerade wieder verlängert hat, dies bleibe die grundsätzliche Position. Bezüglich Stanyzja Luhanska lobte Tusk den ukrainischen Truppenabzug, meinte aber, sein Optimismus halte sich doch in Grenzen, dass auch die Separatisten sich an ihre Verpflichtungen halten werden. Insgesamt versuchte Tusk, sich - wie so oft - als großen Freund der Ukraine darzustellen: Der polnische EU-Ratsvorsitzender spricht fließend Ukrainisch, was er auch zuvor bei der Pressekonferenz mit Ministerpräsident Wolodymyr Grojsman zeigte. »In Brüssel werde ich von vielen als proukrainischer Verrückter behandelt«, scherzte er. »Ich bin stolz darauf.«
Zudem betonten sowohl Tusk als auch Kommissionspräsident Juncker, die EU erkenne die Vergabe russischer Pässe im besetzen Teil des Donbass seit dem Amtsantritt Selenskyjs nicht an. Auch die Lage im Asowschen Meer spielte eine große Rolle. Dort eskalierte im November vergangenen Jahres die Situation, als Russland vor der Straße von Kertsch drei ukrainische Boote aufbrachte. Russland versucht derzeit, die Durchfahrt der ukrainischen Handelsschiffe zu den Häfen Mariupol und Berdjansk zu behindern. Deswegen hat die EU nun zehn Millionen Euro Infrastrukturhilfe für die Region zugesagt, einer von fünf Verträgen, die am Montag unterschrieben wurden.
Unkommentiert blieb der Vorschlag Selenskyjs nach einem neuen Verhandlungsformat mit Russland, das ein Treffen der Regierungschefs der Ukraine, Russlands, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und den USA im belarussischen Minsk vorsieht. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Moskau sich auf ein solches Treffen einlässt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.