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Die Spur der »Operation Condor«
Lebenslange Haft für 24 Militärs wegen Ermordung Oppositioneller in Lateinamerika
»Wenn es Dinge gibt, die getan werden müssen, dann macht es rasch. Aber danach solltet ihr so schnell wie möglich zu normalen Verfahren zurückkehren. Wir wollen, dass ihr Erfolg habt. Wir wollen euch nicht behindern. Ich werde tun, was ich kann.« Die Worte des US-amerikanischen Außenministers Henry Kissinger entstammen dem Protokoll des Gesprächs zwischen Kissinger und Admiral César Guzzetti, Außenminister Argentiniens, am Rande der sechsten Vollversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) im Juni 1976 in Santiago de Chile. Das Gesprächsprotokoll wurde Jahrzehnte später dem unabhängigen »National Security Archive« an der George-Washington-Universität in der US-amerikanischen Hauptstadt gemäß den Bestimmungen des Gesetzes zur Informationsfreiheit übergeben.
Unter dem Codenamen »Operation Condor« konspirierten in den 70er und 80er Jahren die Sicherheitsdienste von mindestens sechs lateinamerikanischen Ländern - Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Brasilien - mit dem Ziel, linke politische und oppositionelle Kräfte weltweit zu verfolgen. Die USA unterstützten und trainierten die lateinamerikanischen Sicherheitskräfte.
Wie viele Menschen direkt der »Operation Condor« zum Opfer fielen, ist unklar, mindestens 200 Personen werden ihr zugerechnet und damit ein Bruchteil der Opfer, die die lateinamerikanischen Diktaturen in diesen beiden Jahrzehnten forderten. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sind 50 000 Menschen ermordet worden, weitere 350 000 »verschwunden« und 400 000 wurden inhaftiert. Koordiniert und unterstützt wurde die Operation vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA. Unter dem Motto »Kampf gegen den Kommunismus« war der Repression buchstäblich keine Grenzen gesetzt. Neueren Erkenntnissen zufolge schlossen sich gegen Ende der 1980er Jahre auch der peruanische und ecuadorianische Geheimdienst an.
Die strafrechtliche Aufarbeitung lief nach dem Übergang zur Demokratie, die in Lateinamerika teils auch als Demokratur bezeichnet wird, schleppend. Erst 2016 fielen in Buenos Aires die ersten Urteile gegen die argentinischen Hauptverantwortlichen für den »Plan Cóndor«. Damals wurden 17 Angeklagte unter anderem wegen Bildung einer international tätigen kriminellen Vereinigung schuldig gesprochen und zu Haftstrafen zwischen acht und 25 Jahren verurteilt.
Auch der frühere Diktator Jorge Videla, der von 1976 bis 1981 die argentinische Junta geführt hatte, gehörte zu den ursprünglichen Angeklagten in dem historischen Verfahren. Doch Videla, der in mehreren Verfahren wegen Menschenrechtsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, starb im Mai 2013 im Gefängnis. Immerhin wurde Argentiniens letzter Militärherrscher Reynaldo Bignone, der 2018 verstarb, in dem Cóndor-Prozess zu weiteren 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Er verbüßte damals bereits eine Haftstrafe, anderem wegen der Verschleppung von Babys politischer Häftlinge.
In Europa wurde am Montag in Rom das erste Verfahren im Zusammenhang mit der »Operation Condor« abgeschlossen. Dort standen seit 2015 zwei Dutzend Angeklagte, darunter 14 uruguayische Militärs, vor Gericht. Unter anderem wegen der Ermordung von 43 Bürgern, unter ihnen 23 mit italienischer Staatsbürgerschaft. Die 24 Angeklagten wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Unter ihnen befinden sich hochrangige Personen wie der 97-jährige ExGeneral und Ex-Präsident Perus, Francisco Morales Bermúdez Cerruti, der ehemalige uruguayische Außenminister Juan Carlos Blanco oder Jorge Néstor Fernández Troccoli, Offizier des berüchtigten urugayischen Marinecorps FUSNA.
Ohne den unermüdlichen Druck von Hinterbliebenen, die vor 20 Jahren das Strafverfahren angestrengt hatten, wären die Täter straffrei geblieben. Aurora Meloni, 68, deren Ehemann Daniel Banfi 1974 in Buenos Aires gekidnapped und ermordet wurde, ist eine von ihnen: »Wir haben niemals aufgegeben und heute haben wir alle gewonnen. Die Urteile von heute sind nicht nur für meinen Ehemann ... die Urteile von heute sind allen Menschen gewidmet, die unter der ›Operation Condor‹ verschleppt und ermordet wurden«, sagte sie dem britischen »Guardian«.
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