Spaniens Regierung droht Seenotrettern mit hohen Strafen

Sozialdemokraten bilden in der Flüchtlingspolitik keinen Gegenpol zu Italien

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Aufschrei war einigermaßen groß, als Italien im Juni ein Dekret verabschiedet hat, wonach private Schiffe, die mit Geretteten an Bord »ohne Genehmigung in italienische Hoheitsgewässer eindringen«. Ihnen droht nun eine Geldstrafe zwischen 10.000 und 50.000 Euro. So hatten auch die Vereinten Nationen im Vorfeld das Vorhaben kritisiert, da damit das »ausländerfeindliche Klima gegen Migranten« weiter angeheizt und Hilfsorganisationen kriminalisiert werden. Und das lässt sich am Vorgehen gegen das deutsche Rettungsschiff Sea Watch 3 und Kapitänin Carola Rackete ja längst unschwer erkennen.

Doch immer wieder ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Reaktionen doch ausfallen können. Da wird massive Kritik am italienischen Innenminister Matteo Salvini, seiner rechten und fremdenfeindlichen Lega und der »populistischen Regierung« geübt. Und die einst als linksliberal geltende Frankfurter Rundschau (FR) titelte sogar: »Salvini verbietet das Retten der Menschen.« Und das ist inhaltlich sogar falsch.

Sind aber entsprechende Berichte in FR darüber zu finden, dass Spanien, das von Sozialdemokraten regiert wird, den Rettungsschiffen sogar eine Strafe von bis zu 901.000 Euro androht? Nein. Es herrscht dazu allgemein weitgehend Stille im Blätterwald. Dabei wurde ein entsprechender Drohbrief an die Hilfsorganisation sogar genau an dem Tag verschickt, als die Deutsche Rackete in Italien festgenommen wurde. Eldiario.es veröffentlichte ihn zudem schon vor 10 Tagen.

Mit einer Demonstration wurde am Samstag gegen die massiven Drohungen in Barcelona demonstriert . Kritisiert wurde, dass die spanische Regierung über ihre Handelsmarine – sie untersteht dem Infrastrukturministerium - dem Rettungsschiff »Open Arms« mit immer drakonischeren Strafen droht.

Schon zuvor hatten die Sozialdemokraten in Madrid das Auslaufen der Open Arms mehr als vier Monate verhindert, was nicht einmal die rechte Vorgängerregierung versucht hatte. Die massiven Drohungen kommen von den Sozialdemokraten, die eine »humanere« Politik in der Frage von Flüchtlingen und Migranten versprochen hatten. Sie konnten sogar einigen Beobachtern damit den Kopf verdrehen, die in Regierungschef Pedro Sánchez einen »Gegenpol« zu Salvini und Co sehen wollten.

Anders als Italien, dessen Dekret vordergründig nur das Eindringen in italienische Hoheitsgewässer verhindern will und damit das Ansteuern eines sicheren Hafens, wie es das Seerecht fordert, verbietet Spanien tatsächlich Such- und Rettungsaktivitäten. In dem Brief an die Open Arms wird erklärt, die Open Arms würde schwere »Rechtsverstöße« begehen, wenn sie die Seenotrettung von Menschen wieder aufnimmt. Ausdrücklich heißt es darin: »Es dürfen keine Such- und Rettungsmaßnahmen« oder andere »Operationen durchgeführt werden, die mit größter Wahrscheinlichkeit dazu führen«.

Angeordnet werden können die Rückfahrt nach Spanien und die »Stilllegung« des Schiffs, wenn an solchen Aktivitäten festgehalten wird. Fabuliert wird von »gravierenden oder sehr gravierenden Verstößen« gegen die »maritime Sicherheit«. Deshalb drohen nicht nur Geldstrafen zwischen 300.000 und 901.000 Euro (10.000 bis 50.000 in Italien), falls die Organisation weiterhin Menschen aus dem Mittelmeer rettet, sondern dem Kapitän könne deshalb auch seine Lizenz in Spanien entzogen werden. Doch ist es nicht eher ein gravierender Verstoß gegen das Seerecht, das vorschreibt, Menschen in Seenot so schnell wie möglich und mit allen möglichen Mitteln zu helfen?

Neu ist auch das nicht. So hatte Telepolis schon berichtet, dass Rettungsschiffe von Spanien monatelang am Auslaufen gehindert wurden. Die baskische Aita Mari wurde im April sogar erneut in Spanien festgesetzt, obwohl sie zwischenzeitlich eine Genehmigung der portugiesischen Linksregierung hatte. Um das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten, wurden der Open Arms und der Aita Mari schließlich aber das Auslaufen erlaubt, allerdings nur, um Hilfsgüter in Lager auf griechischen Inseln zu bringen, wo die Lage zum Teil fatal ist.

Die spanische Politik ist kein Gegenpol zur Salvini-Politik, sondern sie geht noch darüber hinaus und komplementiert dessen menschenfeindliches Vorgehen. Die Demonstranten in Barcelona zogen deshalb vom italienischen Konsulat zum Hafen. Dabei trugen sie Abbildungen von Sánchez und Salvini, die in einem Boot saßen, dass durch die Straßen der katalanischen Metropole . Die Demonstration stand mit Blick auf Rackete unter dem Motto: »Lieber Gefangene als Komplize«. Sie richtete sich »gegen die Kriminalisierung und die Verfolgung der Organisationen, die dafür kämpfen, Menschen im Meer zu retten«. Gerard Canals, Sprecher von Open Arms erklärte, dass man von allen Seiten angegriffen werde. Von Kommunikationsmedien genauso, wie von der Justiz oder der Verwaltung. Er kritisierte, dass die Sánchez-Regierung vor einem Jahr öffentlichkeitswirksam die Aquarius aufgenommen habe, aber ihnen mit Strafen von bis zu 901.000 Euros drohe.

Lesen sie auch: Retten ohne Einschränkung. Wilhelm Mertens vom Verband Deutscher Kapitäne über das Sterben im Mittelmeer

Unterstützung gegen die Repression aus Madrid erhält die Open Arms von der katalanischen Regierung. Der katalanische Außenminister kündigte ein Vorgehen auf internationaler Ebene an, wenn Geldstrafen verhängt würden. Alfred Bosch nannte, mit Blick auf das Seerecht, die Notrettung eine »Pflicht«, die von der Regierung ausgehen müsste, doch die mache sich zum »Komplizen der Tragödie«. Man werde nicht still zuschauen, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken, das müsse Regierungschef Sánchez mit seinem Gewissen ausmachen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!