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Entrückt, kaputt
Bizarrer Porno mit Lust an der Grenzverletzung: Der Film »Messer im Herz«
In den letzten Jahren erschien ein kleiner Korpus von Filmen, die Hommagen an das wilde Kino der Siebziger waren oder Versuche einer liebevollen Dekonstruktion (oder auch beides zugleich). Zum Beispiel Peter Stricklands »Berberian Sound Studio« und »Duke of Burgundy«, »Amer« von Hélène Cattet und Bruno Forzani. Tilman Singers »Luz« gehört in meinen Augen auch dazu. Das verbindende Moment: ein Kino der Erinnerung an andere, zumindest in dieser Hinsicht eventuell wirklich einmal bessere Zeiten, in denen Bilder als Transgressionsversprechen noch denk- und inszenierbar waren und als solche wirkten. Schlicht, weil die Grenzen des Zeigbaren enger schienen und somit an den Rändern des Kinos noch Filme entstehen konnten, die sich verboten anfühlten.
Um diesen Übertritt in eine andere, gefährliche, aber starke Reize versprechende Welt kreist Yann Gonzalez’ »Messer im Herz«, der 2018 in Cannes im Wettbewerb lief. Gonzalez zitiert sich mit spürbarer Freude und Witz durch die Geschichte des frühen Slasher und des späten Giallo. Ein Zitatwust, der Genrekundigen das Einlassen auf die Atmosphäre, die diese Bilder verströmen wollen, erst einmal erschwert. Wenn man ständig denkt: »Kenn ich ... kenn ich ..., Hitchcock-Zitat ..., das ist von Argento ..., guck, ›The Burning‹« und so weiter, dominiert das Filmwissen die Filmwahrnehmung - und man kommt nicht ohne Weiteres in die freischwebende, konzentrierte Aufmerksamkeit, die es braucht, damit die Stimmung des Films den Zuschauerkörper ergreift.
Und die braucht es, will man mit diesem lustvoll überfrachteten, aber eben potenziell auch nervtötenden Treiben auf der Leinwand etwas anfangen. Der Plot ist in diesem Fall der schlechteste Weg, um sich dem Geschehen zu nähern. Die Regisseurin Anne (Vanessa Paradis) dreht Low-Budget-Schwulenpornos auf 16 Millimeter. Ein Mörder geht um. Annes Schauspieler werden ermordet, mit einer Waffe, die die küchenpsychologische Deutung, das Messer im Slasherfilm sei ein Phallusersatz, sehr wörtlich nimmt.
Der Whodunnit interessiert alle herzlich wenig, die Zuschauer*in vermutlich eingeschlossen. Das hat »Messer im Herz« neben vielem anderen mit den von den eigenen Bildern sehr berauschten Filmen Dario Argentos gemeinsam. Die Sorg- und Ratlosigkeit eigentlich aller Figuren - Anne zum Beispiel säuft und nimmt die Mordserie als Plot-Vorlage für ihren nächsten, nun vollends bizarren Porno - entspricht der Prioritätensetzung des Films. Auch die gescheiterte Liebesgeschichte zwischen Anne und ihrer Cutterin Lois (Kate Moran) ist nur weiterer Anlass für durchkomponierte, farbverliebte Bildfolgen. Die Dinge passieren nun einmal, es kommt in »Messer im Herz« nicht darauf an, warum oder zu welchem Zweck.
Letzen Endes geht es diesem Film zuallererst ausschließlich um das eigene Medium, um seine Farben und seine Möglichkeiten, Körper in Szene und in Bewegung zu setzen und körperliche Erregungs- und Extremzustände spürbar zu machen. Der Film zeigt Leinwände, Kameras, Projektoren und Schneidemaschinen, eine Botschaft wird in den Filmstreifen gekratzt. Was in »Messer im Herz« an Genregeschichte steckt, wird zu etwas durch und durch Queerem umgebaut. Vor allem aber geht es um die Lust an der Grenzverletzung. Einen Skandal wie zum Beispiel nach William Friedkins »Cruising«, eine weitere filmische Quelle in Gonzalez’ dichtem intertextuellen Verweisnetz, wird dieser Film nicht lostreten. Aber eine Erinnerung an die Lust an der Überschreitung, die ist in diesen Bildern aufbewahrt - als Erinnerung, der es darauf ankommt, wie schön, entrückt und kaputt die Bilder heute noch werden können.
»Messer Im Herz«, Frankreich/Mexiko/ Schweiz 2018. Regie: Yann Gonzalez; Drehbuch: Yann Gonzalez, Cristiano Mangione; Darsteller: Vanessa Paradis, Nicolas Maury, Kate Moran. 102 Min.
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